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JUNI 2019

Gemeinderat

649 Stunden und 1 Minute

Die Sitzungen der aktuellen Periode sind länger, die Debatten hitziger und es werden mehr Anträge eingebracht – sagen viele im Rathaus. Stimmt das? 6020 hat mit Mitgliedern des Gemeinderats über damals und heute gesprochen und die Sitzungen der letzten zehn Jahre verglichen.

Fotos: Axel Springer
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usanne Plankensteiner, die seit 2013 in der Geschäftsstelle für Gemeinderat und Stadtsenat arbeitet und das Referat seit September 2018 auch leitet, kann den Eindruck, dass die Sitzungen der aktuellen Periode länger dauern, bestätigen: „In der letzten Regierungsperiode waren die Sitzungen vergleichsweise kurz und die Anzahl der eingebrachten Anträge und Anfragen verschwindend gering im Vergleich zur derzeitigen.“ Sie meint, dies sei zu einem großen Teil dem strikten Regiment der damaligen Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer geschuldet. Der Unterschied sei aktuell aber wohl auch deshalb so eklatant, weil man sich am Anfang der Periode befinde und der Gemeinderat auch einige neue Mitglieder hat: „Am Anfang sind die Mandatare immer besonders aktiv und umtriebig“, weiß Susanne Plankensteiner.

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Die Geschäftsstelle für Gemeinderat und Stadtsenat ist für die Vor- wie Nachbereitung sowie die Begleitung der Sitzungen des Gemeinderats, des Stadtsenats und der meisten Ausschüsse zuständig. Dazu gehören die Tagesordnung und die Überprüfung, ob Anträge und Anfragen fristgerecht (eine Woche vor dem Gemeinderat) und formal korrekt bzw. vollständig eingelangt sind. Während der Sitzung führen sie Protokoll und fertigen anschließend ein Kurzprotokoll, das wenige Tage nach dem Gemeinderat auch online verfügbar ist, an. Das ausführliche Wortprotokoll nimmt mehr Zeit in Anspruch, erklärt Plankensteiner: „Um 20 Minuten Sprechzeit abzutippen, benötigen wir eine Stunde, und wir hören die Tonbänder zweimal ab.“ Alles in allem dauert die Erstellung mehrere Wochen.

„Am Anfang sind die Mandatare immer besonders aktiv und umtriebig.“

Susanne Plankensteiner, Leiterin Geschäftsstelle für Gemeinderat und Stadtsenat

Dreh- und Angelpunkt.

Nach den Sitzungen ist die Abteilung aber nicht nur mit den Protokollen, sondern auch den eingebrachten Anfragen und Anträgen beschäftigt. Die Geschäftsstelle verteilt sie an die zuständigen Abteilungen und dokumentiert auch deren Behandlung. „In diesem Zusammenhang sind wir Dreh- und Angelpunkt“, so Plankensteiner.

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Neben diesen und anderen Aufgaben ist die Geschäftsstelle vor allem Anlaufstelle für alle Mandatare. Auch Bürgermeister Willi würde sehr eng mit der Abteilung zusammenarbeiten – und auch das sei ein deutlicher Unterschied zur vorigen Periode: „Die jetzige Vizebürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer hat sich weniger in die Karten schauen lassen.“

649 Stunden und 1 Minute
649 Stunden und 1 Minute
649 Stunden und 1 Minute
649 Stunden und 1 Minute
649 Stunden und 1 Minute

„Die Grünen waren nie Aliens im Gemeinderat.“

Gemeinderat Gerhard Fritz, Grüne

Alter Hase in Blau.

Rudi Federspiel (FPÖ) ist seit 1989 im Gemeinderat und hat damit nicht nur die Amtsperiode von Oppitz-Plörer miterlebt. Unter Bürgermeister Romuald Niescher (Bürgermeister von 1983 bis 1994, 2017 verstorben) saß Federspiel als Tourismusstadtrat in der Regierung, seit 2000 hat er auf der Oppositionsbank Platz genommen. Altbürgermeisterin Hilde Zach zum Beispiel (Bürgermeisterin von 2002 bis 2010, 2011 verstorben) sei „sehr umtriebig“ gewesen. „Persönlich hatte ich einen sehr guten Kontakt zu ihr“, erzählt Federspiel.

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Christine Oppitz-Plörer (Bürgermeisterin von 2010 bis 2018) habe in ihrer Zeit als Stadtchefin ein eher unterkühltes Verhältnis mit der FPÖ gepflegt, meint Federspiel: „Sie hat uns nicht eingebunden und gute Vorschläge ignoriert.“ Für die aktuelle Periode unter Bürgermeister Georg Willi findet der blaue Veteran eindeutige Worte: „Das reine Chaos, die Koalition funktioniert nicht.“

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Nach der Anekdote gefragt, die Federspiel am meisten im Gedächtnis geblieben ist, hat er folgende Geschichte parat: „Gerhard Fritz musste einmal von einem Ordner zu seinem Platz geschleppt werden, weil ihm sein zugewiesener Platz nicht gepasst hat.“

„Gerhard Fritz musste einmal von einem Ordner zu seinem Platz geschleppt werden, weil ihm sein zugewiesener Platz nicht gepasst hat.“

Stadtrat Rudi Federspiel, FPÖ

Alter Hase in Grün.

Gerhard Fritz (Grüne) ist übrigens gleich lang im Gemeinderat wie Rudi Federspiel. In seiner ersten Periode seien er und seine grünen Mitstreiter wie „Aliens im Gemeinderat“ gewesen – zumindest für die Alteingesessenen. Wobei er auch zugibt, dass die Abneigung wechselseitig gewesen sei. „Mittlerweile wurde diese Ablehnung von Respekt abgelöst, Grüne im Gemeinderat sind schon lange normal.“

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Fritz empfindet im Vergleich zu früheren Perioden den Ton in der aktuellen als rauer. Als Beispiel dafür nennt er unter anderem die „ständigen Zwischenrufe“ der FPÖ oder auch „die eine oder andere Brandrede des Herrn Depaoli (Gerald Depaoli, Gerechtes Innsbruck).

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Eine seiner liebsten Geschichten ist unter Bürgermeister Niescher passiert. Damals hatten sich die sieben Mitglieder der Opposition, zu der Fritz gehörte, gerne als „die glorreichen Sieben“ bezeichnet. Im Rahmen einer Budgetdebatte hat Niescher diesen Namen leicht abgewandelt: „Er hat gesagt: ‚Man könnte auch die sieben Zwerge sagen‘“, erzählt Fritz lachend.

„Bis man weiß, wo man was von wem bekommt, geht man manche Wege zweimal.“

Gemeinderätin Julia Seidl, NEOS

Neue in Pink.

Julia Seidl von den Neos erlebt gerade ihre erste Periode als aktive Gemeinderätin. Im Großen und Ganzen sei ihr der Start nicht wirklich schwergefallen, auch wenn sie „ein paar leere Kilometer gemacht hat“: „Bis man weiß, wo man was von wem bekommt, geht man manche Wege zweimal.“

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Überrascht hat sie die wirklich positive Zusammenarbeit mit anderen und dass konstruktive Oppositionsarbeit geschätzt würde. Als negativ empfinde sie den Hang zum Populismus und die Gesprächskultur im Gemeinderat, die oft weit unter der Gürtellinie angesiedelt sei.

„Wenn mich die Regierenden als Aufwachtler bezeichnen, ist das wie ein Ritterschlag für mich.“

Gemeinderat Gerald Depaoli, Gerechtes Innsbruck

Altbürgermeisterin in neuer Rolle.

Vizebürgermeisterin Christine Oppitz-­Plörer (FI) hatte seit 2010 und bis zur Wahl im letzten Jahr selbst das Sagen im Gemeinderat. Das Hauptmerkmal der vergangenen Perioden ist für sie: „Sicherlich das aktive und mutige Gestalten.“

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Nach der aktuellen Arbeit im Gemeinderat gefragt, meint sie, dass jede Periode ihren Stil habe. Sie findet, man sei als Koalition früher eher geschlossener aufgetreten, versichert aber: „Meine Fraktion und ich versuchen jedenfalls Herrn Bürgermeister bei seinen Vorhaben bestmöglich zu unterstützen.“ Außerdem sagt Oppitz-Plörer: „Als Stadtoberhaupt ist es die wichtigste Aufgabe, die notwendigen Mehrheiten im Gemeinderat zu finden.“

Aufwachtler in Orange und Schwarz.

Die wichtigste Aufgabe der Opposition sei es, ist Gemeinderat Gerald Depaoli von Gerechtes Innsbruck überzeugt, kritisch zu hinterfragen und im Fall „den Finger in die Wunde zu legen“. Depaoli wurde im Gemeinderat schon von mehreren Seiten vorgeworfen, Unruhe zu stiften, „sinnbefreite Anträge“ – wie FI-Klubobmann Lucas Krackl einmal befunden hatte – einzubringen und ein Populist zu sein. Was Gerald Depaoli davon hält? „Wenn mich die Regierenden als Aufwachtler bezeichnen, ist das wie ein Ritterschlag für mich.“

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Gerald Depaoli betont aber, dass es auch ihm um die Sache gehe, dass es das sei, was er an der Kommunalpolitik schätze. „Auf dieser Ebene kann man viel gestalten und für die Bürger tun.“ Dementsprechend stimme er auch sinnvollen Anträgen zu – egal, von wem sie kommen. Depaoli würde gerne die Bürger mehr in den Gemeinderat einbinden und eine Bürgerstunde einführen – anstelle der Europastunde, im Rahmen derer EU-Abgeordnete eingeladen werden, im Gemeinderat zu sprechen. Die würde nämlich ohnehin niemanden interessieren.

„Als Stadtoberhaupt ist es die wichtigste Aufgabe, die notwendigen Mehrheiten im Gemeinderat zu finden.“

Vize-Bgm. Christine Oppitz-Plörer, FI