enn eine Biene das Licht ihrer Wabenwelt erblickt, ist sie noch etwas kleiner, flaumiger und heller als die erwachsenen. Trotzdem weiß sie sofort, was sie zu tun hat: Sie muss putzen. Tage später ist sie zuständig für die Fütterung der anderen und wird bald zur Wächterbiene befördert. Nach etwa drei Wochen kann sie endlich als Sammelbiene rausfliegen, packt Pollen und Propolis in ihre Pollenhöschen – ja, so heißen die borstenähnlichen Halterungen an ihren Hinterbeinchen tatsächlich – und liefert sie im Stock ab, wo jüngere Kolleginnen die weitere Verarbeitung übernehmen.
//Das ist der berufliche Werdegang der Biene, bis zu ihrem letzten Atemzug. Gestorben wird nach etwa 40 Tagen, vorzugsweise außerhalb des Bienenstocks, um die Abläufe im perfekt funktionierenden System nicht zu stören. Sein Ziel? Nektar und Honigvorräte sammeln, um das Überleben zu sichern. Und falls ein aufmüpfiges Individuum doch aus der Reihe tanzt, wird es sofort ausgestoßen. Kein Wunder also, dass sich Bienenstöcke ideal als Metapher für das Zusammenleben in totalitären Systemen eignen. Dabei ist das Leben der fleißigen Tierchen so faszinierend, dass sie die Vermenschlichung gar nicht nötig haben.
So funktioniert der Bienenstaat
- Das perfekte Miteinander im Bienenstock steuert die Bienenkönigin per Pheromone.
- Die Königin legt täglich bis zu 2.000 Eier, lebt 4 bis 5 Jahre und geht nur einmal auf Hochzeitsflug. Dabei wird sie von bis zu 20 Drohnen begattet, die dann tot von ihr runterfallen.
- Königin und Drohnen müssen von den Arbeiterbienen gefüttert werden.
- Bei schlechtem Wetter verbrauchen sie 1 bis 2 Esslöffel Honig.
- Im Winter reduziert sich das Volk auf 10.000 bis 15.000 Bienen, die sich um die Königin zu einer Traube sammeln, um sie zu wärmen.
- Ein Bienenvolk produziert in Tirol insgesamt 10 bis 15 Kilo Honig. In Niederösterreich sind’s sechsmal so viel.
- Eine Biene produziert in ihrem 40-tägigen Leben einen einzigen Tropfen Honig. Dafür fliegt sie insgesamt bis zu 8.000 Kilometer.
- Honig wirkt antiviral, antibakteriell und fungizidal.
Nicht ganz so plötzlich Imker.
Einer, der dieser Faszination erlegen ist, ist Stephan Aulitzky. An Bienen interessiert war der Betriebswirt schon immer, jedoch ohne praktischen Zugang zur Imkerei. Diesen fand er über Umwege durch seinen Traupriester und den Abt vom Stift Wilten, der ihm die Möglichkeit gab, als Stiftsimker die Imkerei zu erlernen: „Also war ich plötzlich mittendrin“, erinnert sich der zweifache Familienvater. Ein Sprung ins kalte Wasser? „Nicht eiskalt“, sagt er, da er zumindest bereits mit theoretischem Bienenwissen vertraut war, „das weitere Know-how kam dann ohnehin von allen Seiten“, fährt er fort.
//Heute ist Stephan sehr dankbar für die Wendung, die sein Leben dank der Bienen nahm. Er gab seinen Bürojob auf, um sich seiner Berufung zu widmen und seine Firma Wikema, die Wiltener Kerzenmanufaktur, zu gründen. Nun stellt er Honig, Kerzen und Pflegeprodukte selbst her und vertreibt sie unter anderem in Kooperation mit seinem „Insektenfreund“ Mohammad Jabr von Brokat Tirol. „Ich habe meine Bienen, er seine Seidenraupen. Auch darum sind wir Freunde“, sagt der Imker und schmunzelt.
„Solange Pflanzen blühen, werden Bienen natürlich weiterhin Pollen sammeln, aber im Juli und August nimmt die Arbeitsintensität zunehmend ab.“
Stephan Aulitzky, Imker
Die Welt im Sechseck.
Wenn Stephan über die gesundheitsfördernde Wirkung von Honig oder von der erfüllenden Tätigkeit in der Natur berichtet, wird seine große Leidenschaft für die Bienen deutlich spürbar. Davon ist auch jede Menge nötig – die fleißigen Nützlinge machen nämlich viel Arbeit. Heute sieht er sich nach vier Bienenstöcken im Westen Innsbrucks, idyllisch zwischen Stadt, Wald und Obstwiesen gelegen, mitten im Bienen-Schlaraffenland. Dann heißt es Schutzanzug überziehen, Zirbenspäne für die Rauchpumpe anzünden und auf zum Stock. Dort schalten die Bienen durch die simulierte Brandgefahr auf Krisenmodus und fliegen zum Honigdepot, um Vorräte für die anstehende Flucht einzupacken. Ein klassischer Trick, um sie abzulenken. Es summt und summt. Aus dem Stock strömt ein wunderbarer, süßlich-warmer Duft.
//Nun holt Stephan behutsam ein paar Rähmchen mit Waben raus – lauter vollkommene Sechsecke, die mal als Vorrats-, mal als Brutkammer dienen. In vielen ist das dunkle Honiggold schon deutlich zu sehen. Manche Wabenzellen sind verschlossen, in anderen liegen winzige, weiße Stiftchen: „Das sind Eier. Daneben sind weitere Brutzellen. Die meisten beherbergen Bienen.“ Einige Waben sehen irgendwie praller, dunkler und größer aus. „Da schlüpfen bald Drohnen raus“, erklärt Stephan. Wieder eines von vielen Details, die er als Imker genau beobachten muss. Zu viele Drohnen könnten nämlich auf Probleme deuten.
Imker Stephan holt die Rähmchen stets behutsam aus der Box, um
die Bienen nicht zu verletzen.
„Bienen verteidigen sich nur, wenn sie sich bedroht fühlen. Ansonsten wollen sie nur in Frieden ihrer Arbeit nachgehen.“
Stephan Aulitzky, Imker
Ein Imker lernt nie aus.
Auch die äußeren Gegebenheiten hat er stets im Blick: Lage, Temperatur und Wetter – in der Bienenwelt hängt irgendwie alles zusammen. Das war heuer besonders bemerkbar, als die kühlen Temperaturen im Mai die Bienen am Arbeiten hinderten. Nun gilt es, das Versäumte so gut es geht nachzuholen. Dafür bleibt nicht mehr viel Zeit: Der Höhepunkt der Emsigkeit ist mit der Sonnenwende nämlich schon erreicht. „Solange Pflanzen blühen, werden sie natürlich weiterhin Pollen sammeln, aber im Juli und August nimmt die Arbeitsintensität zunehmend ab“, erzählt Stephan, der im Herbst seine zweijährige Imkerausbildung abschließt.
//Im Rahmen dieser Ausbildung bekommt er wichtige Grundlagen und Kontakte zu Gleichgesinnten vermittelt. Als Imker lernt man eigentlich nie aus. Insgesamt hat er 20 Bienenvölker an unterschiedlichen Standorten in der Stadt, die auch ständig beobachtet werden wollen: „Nur so kann ich dazulernen und auf allfällige Entwicklungen reagieren.“
Multifunktional: Wabenzellen dienen als Vorrats- und Brutkammer.
Buchtipp:
Arbeitsteilung, Drohnenschlacht und Bienentanz
„Aus dem Leben der Bienen“ vom Biologen und Nobelpreisträger Karl von Frisch ist erstmals 1927 erschienen und gilt als Pflichtlektüre für Biologen, Imker und interessierte Laien.
Karl von Frisch (1886–1982) teilt in diesem Buch sein umfassendes Wissen über die Bienen – von der „Arbeitsteilung im Bienenvolk“ über die „Drohnenschlacht“ bis hin zum „Bienentanz“.
//Der österreichische Autor Gerhard Roth meinte zu „Aus dem Leben der Bienen“: „Ich kann sagen, dass dieses Buch mein Leben veränderte.“
„Aus dem Leben der Bienen“
von Karl von Frisch, Czernin Verlag,
280 Seiten.
Stadt der Bienen.
Und wie machen sich die Bienen im urbanen Lebensraum? Werden ihre Lebensbedingungen dort nicht erschwert? Stephans Antwort: „Nein, sie kommen überall zurecht, wo es Gärten, Bäume oder Balkonpflanzen gibt.“ Im Vergleich zu ländlichen Gegenden, wo nur intensive Landwirtschaft betrieben wird, gilt die Artenvielfalt in und um eine Stadt wie Innsbruck als besonders groß – das macht auch den Honig facettenreicher.
//Über Schadstoffe durch den Stadtverkehr müsse man sich übrigens auch nicht sorgen, diese können – Bienenwachs sei Dank – nämlich gar nicht in den Honig gelangen. Und die Menschen? Auch da gibt Stephan Entwarnung: „Bienen verteidigen sich nur, wenn sie sich bedroht fühlen. Ansonsten wollen sie nur in Frieden ihrer Arbeit nachgehen.“
Infos zu Wikema unter www.wikema.at sowie www.brokat-tirol.at
Zu den Bienenprodukten gehört nicht nur Honig, sondern auch Wachs für Kerzen und die Lippenpflege sowie Propolis.