rei- bis viermal in der Woche schwingt sich Philosophiestudent Johannes Schoissengeyer für Mjam auf sein Fahrrad, um Bestellungen von mittlerweile rund 60 Innsbrucker Restaurants direkt vor die Haustür zu liefern. „Ich finde es toll, wenn man für Sport bezahlt wird“, schwärmt der 21-Jährige über seinen Job. „Man ist draußen, ist sein eigener Chef, fährt durch die Stadt, sieht ein bisschen was.“ Bezahlt wird man dabei nach der Anzahl der Bestellungen, die man ausliefert. Pro Bestellung bekommt man vier Euro. Zwei bis drei, manchmal mehr Auslieferungen würde man die Stunde schaffen, so Johannes.
„Es ist knallhart. Wenn du nicht fährst, verdienst du nichts.“
Eric Frost, Unternehmer, Mjam-Fahrer
Ein Abenteuer.
Am Ende des Monats zählen die durchschnittlichen Bestellungen, die man pro Stunde ausgeliefert hat. Gibt es einmal wenig zu tun oder war man einfach zu langsam, wird der Lohn bei durchschnittlich unter zwei Bestellungen pro Stunde automatisch auf acht Euro gesetzt. Der Verdienst ist, wie die Arbeitszeit, flexibel – Mjam wirbt online daher mit einem Stundenlohn von acht bis zwölf Euro pro Stunde. „Es ist halt ein Abenteuer“, findet Johannes, der in geringfügiger Tätigkeit auch im Winter bei Schnee und Kälte unterwegs ist, „wenn du aber auf das Geld angewiesen bist, dann ist es nicht der richtige Job“.
//Abgesehen vom bescheidenen Lohn soll es bei Mjam manchmal Schwierigkeiten mit der Einteilung der Arbeitsschichten geben. Rund 70 Personen, die miteinander über eine Whatsapp-Gruppe kommunizieren, müssen sich jede Woche schnellstmöglich online in eine Dienstliste eintragen, sonst geht man leer aus. „Es gibt sicher immer wieder Leute, die keine Schichten bekommen“, meint Johannes. Er selbst stellt sich zum Stichtag immer den Wecker, damit er auch wirklich zum Zug kommt. Die Innsbrucker Fahrer für Mjam müssen ihr Fahrrad und ein kompatibles Smartphone selbst stellen. Ein fixes Büro vor Ort gibt es nicht. Die Fahrer kommunizieren mit dem Unternehmen über eine App, und zwei Ansprechpartner in der Stadt und müssen in der Startzone um die Annasäule im Freien auf Bestellungen warten. Für Johannes ist das Fahrradfahren eine flexible, abwechslungsreiche Arbeit, ein klassischer Studentenjob eben.
Eine juristische Streitfrage.
Anders sieht die Lage für Eric Frost aus. Er war laut eigener Aussage der erste Mjam-Fahrer Innsbrucks, fuhr zuerst geringfügig und verdiente später mit dem Fahrradfahren längere Zeit seinen Lebensunterhalt. Heute arbeitet der 35-Jährige neben einer selbstständigen Unternehmertätigkeit wieder geringfügig für den Essenslieferanten. Auf seinen Job ist er durch den Spaß am Radfahren nach einer längeren Fahrradreise durch Europa gekommen: „Ich wollte unbedingt weiter fahren.“ Schnell hat Frost jedoch gemerkt, dass für Mjam zu radeln kein leicht verdientes Geld ist. „Es ist knallhart. Wenn du nicht fährst, verdienst du nichts“ – das hat der Bote lernen müssen, als er einen Unfall hatte, einen von mehreren.
„Ich finde es toll, wenn man für Sport bezahlt wird.“
Johannes Schoissengeyer, Student, Mjam-Fahrer
Nachdem ihm seine Fahrradkette gerissen war und sich sein Rad mit ihm überschlug, habe er zur Schicht am nächsten Tag einfach nicht fahren können. Die Radreparatur durfte er aus eigener Tasche bezahlen. Das Resultat: die Benachrichtigung seitens des Unternehmens, dass er sich einer „no-show“ schuldig gemacht habe und nicht zur Schicht aufgetaucht sei. Ähnliche Erfahrungen schildert Eric aus der Zeit eines Krankheitsfalls: Trotz ärztlicher Krankschreibung bekam er keinen Cent, als er zuhause blieb.
//In der Arbeiterkammer Tirol kennt man bereits die Problematik solcher sogenannter „neuer Arbeitsformen“. „Hier wird versucht, mit prekären Arbeitsverhältnissen Gewinn zu machen. Die Unternehmer verdienen Geld, weil sie ganz genau wissen, dass der einzelne sich dagegen nicht zur Wehr setzen kann“, kommentiert Thomas Radner, Leiter der Arbeitsrechtlichen Abteilung der Arbeiterkammer Tirol, die Situation.
Der Riese hinter den Kleinen.
Hinter Mjam und vielen anderen Essenslieferanten steht die in Berlin ansässige Firma Delivery Hero. Das börsenorientierte Unternehmen hat in über 40 verschiedenen Ländern Partnerschaften mit mehr als 250.000 Restaurants und machte allein im letzten Jahr einen Umsatz von 665 Millionen Euro (eine Steigerung von 200 Millionen Euro zum Vorjahr). Wären die Fahrradboten rechtlich als Arbeitnehmer klassifiziert, müsste laut AK eigentlich der Arbeitgeber für eine gerissene Kette am selbst bereitgestellten Rad aufkommen.
//Auch die Unternehmenspolitik der ignorierten Krankschreibungen dürfte es bei einem richtigen Arbeitsverhältnis nicht geben. Im Fall von Eric ist es so, dass er nach eigener Aussage nur einmal einen Vertrag unterschrieben hat – damals, als er als geringfügig Beschäftigter begonnen hat. Ob man die Rider, wie die Fahrer im Unternehmensslang genannt werden, nun als „ArbeitnehmerInnen“ bezeichnen kann, ist eine juristische Streitfrage. Der Jurist Thomas Dullinger schreibt in einer Publikation zum Thema, dass die Fahrer des mittlerweile zu Mjam fusionierten Lieferservices Foodora „trotz vereinbartem Vertretungsrecht und der Vertragsbezeichung ,freier Dienstvertrag’ in der Regel als ArbeitnehmerInnen“ qualifiziert werden können.
Kollektivvertrag in Aussicht.
In Österreich gibt es laut Wirtschaftskammer 442 Unternehmen mit der Gewerbeberechtigung „Güterbeförderung mit Fahrrädern“, drei davon in Tirol. Das Geschäft mit den Fahrradkurieren boomt. Die Tiroler Tageszeitung berichtet von 710 Fahrrad-Lieferanten in Österreich, von denen 90 Prozent als freie Dienstnehmer beschäftigt seien. „50 bis 60 Prozent des städtischen Güterverkehrs sind auf Fahrräder verlagerbar“, weiß Karl Delfs, vida-Bundessekretär des Fachbereichs Straße.
„Eine Wachstumsbranche, die kein gemeinsames Spielfeld hat, hat ein Problem.“
Karl Delfs, Gewerkschaft vida
Die Spielregeln für Unternehmer und Radfahrer sind, wie die oben genannten Fälle zeigen, noch nicht wirklich ausgereift. Deshalb verhandelt man bereits seit über einem Jahr an einem Kollektivvertrag für alle Fahrradboten, der mit Jänner 2020 in Kraft treten soll, um etwa Lohndumping auf Fahrer- und Unternehmensseite zu verhindern. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Gründung eines Betriebsrates bei der Firma Foodora (ehem. Mjam) im Jahr 2017, andere Fahrrad-Transportunternehmen zogen bereits nach. „Eine Wachstumsbranche, die kein gemeinsames Spielfeld hat, hat ein Problem“, erklärt Karl Delfs, der die Kollektivvertragsverhandlungen für die Gewerkschaft vida leitet.
//Der Einsatz von Fahrradboten ist gut für die Umwelt, schnell und flexibel, Lohn und Arbeitsbedingungen sind allerdings – da sind sich Arbeiterkammer und vida einig – prekär. Der Kollektivvertrag wird zwar noch zwischen der Gewerkschaft, dem Verband der Kleintransporteure Österreichs und Unternehmern aus dem Fahrradbotenbereich ausgehandelt, doch eines ist bereits fix: „Ein Mindestgehalt von unter 1.500 Euro brutto kommt nicht infrage“, so Karl Delfs, auch ein Weihnachts- und Urlaubsgeld soll kommen.
Kein Kommentar von Mjam.
„Die freien Dienstnehmer sind vom Kollektivvertrag nicht erfasst“, bemerkt Karl Delfs. Trotzdem denkt er, dass man für einen starken Unternehmenszuwachs „weisungsgebundene Mitarbeiter braucht, die nach fixen Regeln arbeiten“. Für Johannes Schoissengeyer und Eric Frost wird sich durch den Kollektivvertrag nicht viel ändern, trotzdem verspricht sich die vida damit einen besseren Überblick über die boomende Branche. Von Mjam selbst bekam 6020 nach mehrmaliger Aufforderung keine Stellungnahme zu der Situation einzelner Fahrradboten in Innsbruck. Wie es in Zukunft mit dem Gehalt, der Ausrüstung und dem arbeitsrechtlichen Status der Boten aussieht, wird sich zeigen.