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JULI 2018

Von Córdoba bis Klagenfurt

Wenn die Fußball-WM vorbei ist, beginnt Wacker Innsbruck wieder in der Bundesliga zu spielen. Der schwarzgrüne Aufstieg weckt politische Assoziationen und bietet viel Platz für gesellschaftliche Projektionen.

N

ein, das ist nicht nur ein Spiel. Wenn sie quer durch den Blätterwald zum Sommerbeginn den 40. Jahrestag des Wunders von Córdoba feiern, dann wirkt dies als Ausweis für die tiefe Sehnsucht des kleinen Österreichers nach neuer – oder auch alter – Größe. 21. Juni 1978: Der Tag hat für die Psyche der Zweiten Republik wahrscheinlich mehr Bedeutung als wirklich wichtige Ereignisse. Deutschland in einem Bereich zu schlagen, der wirklich populär ist, erscheint geradezu konstitutiv für den heute Ösi genannten Kleinhäusler – eine späte Retourkutsche für die Schmähung des zur Großmannssucht neigenden Nachbarn als Piefke. Dass Felix Mitterers entsprechende Saga erst ein Dutzend Jahre nach Córdoba gesendet wurde, ist eine unverständliche Verspätung der österreichischen Geschichte.

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Damals, als Hans Krankl im fernen Argentinien die nationale Aufwallung auf seiner heimatlichen Insel der Seligen fixiert hat, lief aber immerhin Peter Turrinis „Alpensaga“ – auch so eine tief wurzelnde Infragestellung der austriakischen Selbstüberhöhung. Massenhafter Passivsport als Korrektiv einer elitären nestbeschmutzenden Unkultur: Wer Parallelen zum Jetzt orten will, unterschlägt die Nicht-Teilnahme Österreichs an der Fußball-Weltmeisterschaft. Aber der Sportminister war beim Eröffnungsspiel. Ein zwiespältiger Abstecher; auch weil der Ressortchef Heinz Christian Strache heißt. Um nicht mit leeren Händen heimzukommen, hat er angeblich gehört, dass der russische Weltkonzern Gazprom überlege, bei einem Wiener Klub einzusteigen. Jawohl, er sagte „W-i-e-n-e-r“.

Die Kickerei eignet sich perfekt fürs Aufbegehren der Provinz gegen die Hauptstadt.

Der ganze Stolz der Provinz.

Das führt umgehend zu tieferen Verwaltungsebenen, als eine WM sie darstellen kann. Die Kickerei eignet sich perfekt fürs Aufbegehren der Provinz gegen die Hauptstadt. Sozusagen den Wasserkopf mit Füßen treten Barcelona in Spanien wie Manchester in England, Mailand in Italien wie München in Deutschland – und Salzburg in Österreich. Aber je kommerzieller sein Betrieb, desto weniger taugt ein Verein für die Identifikation von Fans, Stadt und Land. Da steht der Einsatz von Red Bull für Salzburg in einer Tradition mit dem Engagement von Swarovski in Tirol und Innsbruck. Der Klub der Herzen an der Salzach ist immer noch die einstige Austria, so wie der sentimentale Favorit am Inn seit jeher der Wacker war. Wenn er am 4. August 2018 – nach 1.546 Tagen Zweitklassigkeit – endlich wieder als Bundesliga-Klub auf dem Tivoli einlaufen wird, lässt das vielleicht nicht seine gesamte 105-jährige Vereinshistorie Revue passieren, aber die erinner-liche Fußballgeschichte der Fans.

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Der Vater war dabei, als sich 1954 im alten Tivoli-Stadion das Nationalteam für die WM in der Schweiz vorbereitete. Beim Stand von 14:0 gegen eine Vorarlberger Auswahl hat sich jener Ernst Happel, der hier von 1987 bis 1991 den FC Swarovski Tirol trainieren sollte, umgedreht und dem eigenen Keeper Walter Zeman aus 20 Meter ein Tor geschossen. Der Sohn war dabei, als 1971 der soeben ausgeschlossene Rapidler Gustl Starek dem Publikum seinen Allerwertesten präsentiert hat. Die Wiener lieferten hier herrliche Anekdoten. Der erste Meistertitel – und nach dem LASK 1965 erst der zweite, der nicht nach Wien ging – war dennoch vor allem ein Triumph der Provinz über die Metropole.

Ungeachtet des 1971 bis in die letzte Runde währenden Kopf-an-Kopf mit der Salzburger Austria ging es mehr noch darum, es den Wienern zu zeigen. Was dann noch neunmal gelungen ist.

Politik und Sport im Paarlauf.

Die zehn Meistertitel von FC Wacker Innsbruck, der Spielgemeinschaft Wattens-Wacker Innsbruck, des FC Swarovski Tirol und des FC Tirol-Innsbruck sind für das kollektive Selbstwertgefühl der Tiroler mindestens so wichtig wie ihr doppeltes Olympia. Als Teamleistungen taugen sie besser zur regionalen wie lokalen Massenidentifikation als die skifahrerischen Einzelerfolge von Toni Sailer über Karl Schranz bis zu Benni Raich. Nicht von ungefähr vollzog sich auch der Aufstieg des Fußballklubs in der Endphase der Wiederaufbaujahre, die hier durch die Spiele von 1964 und 1976 markant eingegrenzt ist. Genauso wenig ist es ein Zufall, dass die ersten fünf Titel – von 1971 bis 1977 – in den politischen Zenit der 27 bzw. 24 Jahre regierenden Alois Lugger (1956 –1983) und Eduard Wallnöfer (1964 –1987) als Bürgermeister von Innsbruck und Landeshauptmann von Tirol fallen.

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Sportlicher und politischer Aufstieg – im positiven wie im negativen Sinn – gehen im Kleinen wie im Großen oft Hand in Hand. Das galt für Deutschland mit Olympia 1972 und der Fußball-WM 1974, für Japan mit den Sommerspielen 1964 und den Winterspielen 1976 und für Spanien mit der Kicker-Weltmeisterschaft 1982 und Olympia 1992. Es gilt für Russland mit Sotchi 2014 und der laufenden WM. Und es bedeutet im Kleinen, dass der Wiederaufstieg von Wacker Innsbruck letztlich auch als Puzzlestein für Tirols regionales Beharrungsvermögen wirkt.