Wir empfehlen
JULI 2017

Sommer der Gespräche, Herbst der Duelle

Theresa May tat es nicht, Angela Merkel lässt es zu, Donald Trump machte es dreimal, Christian Kern stellt sich sogar mindestens sieben TV-Konfrontationen mit seinen direkten Herausforderern. Fernsehduelle sind überall das Salz in der Suppe vor großen Wahlen. Doch nirgends sind sie häufiger als in Österreich.

A

n Überdosis mag keiner glauben: Während anlässlich der jüngsten Nationalratswahlen 2008 und 2013 die Sommergespräche den TV-Konfrontationen weichen mussten, setzt der ORF heuer auf „sowohl als auch“. Das erklärt sich nicht nur durch den späteren Wahltermin 15. Oktober als zuletzt 28. und 29. September. Es ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass am Küniglberg niemand auf einen der größten öffentlich-rechtlichen Quotenrenner verzichten will. Denn die seit 1981 geführten Gespräche sind erfolgreicher denn je: Sechs der meistgese-henen stammen aus den vergangenen zwei Jahren. 2015 knackte Heinz-Christian Strache als Einziger die Publikumsmillion. Er brachte es wie Jörg Haider zu drei Top-Ten-Plätzen. Dazu noch Frank Stronach, Reinhold Mitterlehner, Christian Kern und Werner Faymann. Wer in diese Phalanx eindringen will, benötigt zumindest 725.000 Zuschauer. Nach Peter Resetarits, Hans Bürger und Susanne Schnabl stellt diesmal Tarek Leitner die Fragen. Armin Wolf war zuletzt 2012 nach dreimal Ingrid Thurnher in dieser Rolle.

// 

Beim ORF sorgt Stronach am 31. Juli für den Auftakt der Montagsdialoge, die am 4. September mit Kern ausklingen. Kanzler-Vorteil: Es ist der einzige Termin, an dem in Ostösterreich die Schulferien schon vorbei sind. Unterdessen hat er in oe24.tv bereits die Sommergespräche eröffnet, die hier – nach Strache – Sebastian Kurz am 5. Juli beendet. Auch für Puls 4 konnte der Kanzler den Auftakt in der Überall-Schulzeit unterbringen, während die Konkurrenz erst an den Juli-Montagen dran ist. oe24.TV legt in diesem Monat noch eine Dreier-Konfrontation zwischen Kern-Kurz-Strache nach. 

Die Domäne von Haider und Strache.

So viel Sommergespräch war nie zuvor: Denn zum Interview-Wettrüsten zwischen öffentlich-rechtlichem und privaten Sendern kommen auch noch – in wohl jedem Bundesland – die Interviews mit den dortigen Politikspitzen. Auch hier schon oft in Konkurrenz zu regionalen privaten Mitbewerbern. Spätestens seit dem 2016 ausgeuferten Präsidentschaftswahlkampf glaubt niemand mehr an einen Overkill. Die Einschaltziffern für diese massive Bildschirmpräsenz der Parteichefs belegen eher das Gegenteil der allenthalben beklagten Politikverdrossenheit. Die Erwartungen eines Spektakels stehen aber auch hier vor dem Bedarf nach sachpolitischer Auskunft. Stronach auf Rang 2 der Quotenhits und die Dominanz von Strache und Haider sind ein deutlicher Beleg dafür.

In Österreich treffen Kern und Kurz zweimal im Duell, dreimal im Trio mit Strache und dreimal in Elefantenrunden aufeinander.

 

Von solchen Straßenfeger-Qualitäten konnte Bruno Kreisky noch nichts ahnen, als er sich 1981 zum dritten Sommergespräch des ORF vom späteren Minister Franz Kreuzer im deutschen Bad Wörishofen interviewen ließ. Peter Rabl hatte zuvor Norbert Steger in Kärnten und Alois Mock in Vorarlberg befragt. Die Kulisse war also schon bei der Premiere ein Thema, die wie in den darauf folgenden vier Jahren in „Politik am Freitag“ gezeigt wurde. Bis 1993 bot dann der „Inlandsreport“ eine Sendungsheimat. „Anders gefragt“ und „Zur Sache“ folgten, bis 2001 der einstige Untertitel zur Hauptsache avancierte. Von 1987 bis 1999 war Jörg Haider 13 Sommer hintereinander der insgesamt gefragteste Gast. Kein Moderator erreichte auch nur annähernd die Jahreszahl von Haider. 

25 Duelle und zwei Dreikämpfe.

Auch in der Zahl der Gesprächsführungen übertreffen ihn nur Johannes Fischer mit 18 (1988–1992 und 1999) und Ingrid Thurnher mit 15 (2009 – 2011) solchen Auftritten. Peter Rabl (1981 – 1987) und Helmut Brandstätter (1991 – 1993) folgen mit immerhin 13 Mal. Armin Wolf hat 2005 und 2012 zehn solche Moderationen absolviert.

Neben den schon Genannten (Resetarits, Bürger und Schnabl) fungierten auch Franz Kreuzer, Rudolf Nagiller, Robert Hochner, Elmar Oberhauser, Hans Benedict, Franz Hlavac, Gerhard Jelinek, Wilfried Seifert schon als Fragesteller. Elisabeth Ludl war 1990 die erste Frau, Margit Czöppan folgte 1997, Gisela Hopfmüller 2000 und 2001, Gabi Waldner 2006. Für die höchste Einschaltquote einer Politikerin sorgte Susanne Riess-Passer 2002 mit 695.000 (Platz 13).

// 

Abgesehen von den regelmäßigen Interviews in der ZIB 2 gibt es nur ein Format, das für Interviewer ähnlich hohen Stellenwert aufweist wie die „Sommergespräche“. Es sind jene TV-Duelle, die heuer nahtlos anschließen: 15 im ORF, zehn auf Puls 4, dazu noch zwei Dreikämpfe, drei Elefantenrunden, Pressestunden, ATV-Klartext-Interviews, ServusTV, oe24.tv, die Regionalsender … Dieser Herbst bringt Österreich ein Stakkato an Bildschirm-Politik wie nie zuvor. Auch hier liegt die Ursache im zuletzt enorm hohen Publikumsinteresse. Die 15 ORF-TV-Konfrontationen 2013 hatten zwischen 570.000 und 850.000 Seher. Zumindest Passagen davon haben damals 3,7 Millionen Menschen verfolgt. 

Der Wettlauf um die Deutungshoheit.

Heute verfügt Facebook über so viele Nutzer in Österreich. Also wird dies der erste Nationalratswahlkampf, den das Paralleluniversum der digitalen Netzwerke mitentscheidet. Fernsehbilder sind keine Konkurrenz, sondern eine Grundlage dazu. 2013 wurden 32.000 Tweets zu den ORF-Duellen abgesetzt. Seit damals hat Armin Wolf seine Follower auf 365.000 vervierfacht. Alle Spitzenkandidaten nutzen intensiv Facebook und Twitter.