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FEBER 2017

Die einen reißen sie aus dem Schlaf, den anderen zaubern sie Vorfreude ins Gesicht. Lawinensprengungen sorgen an schneereichen Tagen für Sicherheit und gehören für die Mitarbeiter der Nordkettenbahnen zum täglichen Geschäft.

Fotos: Franz Oss, Lawinenkommission

 

 

Expertenrunde.
Bei der morgendlichen Sitzung 
sprechen Kurt Pröller, Sebastian Larcher, Herbert Zinner und Werner Haberfellner (v. l.) über die Wetterlage, gefährliche Hänge und notwendige Sperren.

W

er in Innsbruck wohnt, kennt es: das dumpfe Knallen, das nach verschneiten Winternächten von der Nordkette kommend über die Stadt hinwegsaust und bei so manchem Wintersportler freudige Erwartungen weckt. Schließlich ist die Chance auf Pulverschnee groß, wenn noch in der Dämmerung auf Seegrube und Hafelekar mit Sprengstoff Lawinen ausgelöst werden. „Damit verhindern wir, dass sich die Schneemassen an gefährlichen Stellen erst dann in Bewegung setzen, wenn bereits Skifahrer und Snowboarder auf den Pisten unterwegs sind“, erklärt Werner Haberfellner. Seit 15 Jahren ist der Innsbrucker Mitglied der Lawinenkommission auf der Nordkette, zusätzlich arbeitet er hier als Pistenretter.

Entscheidungsfindung.

Gemeinsam mit drei Kollegen nimmt er in einem kleinen Büro im Seilbahngebäude auf der Seegrube Platz. Es ist kurz nach 9 Uhr früh, draußen hat es mittlerweile aufgehört zu schneien. Schnell ist man sich einig, dass die Zufahrt zur Arzler Alm heute gesperrt bleibe. Und auch ein Teil des Rosner-wegs auf der Hungerburg liege im gefährdeten Bereich. Nach kurzer Diskussion zückt Herbert Zinner, der Vorsitzende der Kommission, sein Telefon und gibt die Empfehlungen zu Weg- und Pistensperren an den Innsbrucker Magistrat, die Berufsfeuerwehr und die Geschäftsführung der Nordkettenbahnen weiter. „Diese treffen dann die offizielle Entscheidung über Straßen-, Weg- und Pistensperren“, erklärt Zinner. 

 

Erfahren:Pistenretter Werner Haberfellner ist seit 15 Jahren Mitglied der Innsbrucker Lawinenkommission.

Zu beurteilen, Wann und wo gesprengt wird, gehört zu den Aufgaben der 252 Tiroler Lawinenkommissionen.

 

Zu beurteilen, wann und wo gesprengt wird, gehört ebenfalls zu den Aufgaben der 252 Tiroler Lawinen-kommissionen, die insgesamt über 1.300 Mitglieder zählen. In jeder Gemeinde, auf deren Gebiet eine potentielle Gefahr von Lawinenkatastrophen besteht, ist die Einrichtung eines solchen Expertengremiums vorgeschrieben. Die Innsbrucker Kommission ist nur für die Nordseite der Stadt zuständig. „Zwischen Allerheiligen- und Rechenhof behalten wir die Lawinensitua-tion im Auge“, konkretisiert Herbert Zinner. Acht Kommissionsmitglieder sind hier tätig, mindestens drei von ihnen müssen bei den morgendlichen Besprechungen anwesend sein. Eine Piste im Skigebiet wird nur dann geöffnet, wenn alle zustimmen, für eine Sperre genügt hingegen eine Stimme.

Ab 30 Zentimeter wird gesprengt.

Um teure und teils schwer zu kontrollierende Sperren erst gar nicht notwendig werden zu lassen, werden Gefahrenstellen durch
gezielte Lawinensprengungen entschärft. Neben den Witterungsbedingungen dient die Neuschneemenge dabei als Hauptkriterium. Ab einer Höhe von etwa 30 Zentimetern wird gesprengt, nennt Haberfellner als Faustregel. In erster Linie sei das als Service für die Wintersportler zu sehen. „Dadurch, dass wir regelmäßig kleine Lawinen und Schneebretter im Skigebiet auslösen, verhindern wir aber auch, dass sich instabile Schneemassen über einen längeren Zeitraum ansammeln und irgendwann zu einer Riesenlawine werden, die eine Gefahr für Siedlungsgebiete bedeuten kann."

Per Knopfdruck am Computer entweicht das Gasgemisch und wird am Rohrausgang der Gazex-Kanone gezündet.

 

Zündung per Knopfdruck.

Auf der Nordkette stehen fest verbaute Gas-Kanonen und Sprengseilbahnen zur Verfügung, um Hänge ins Rutschen zu bringen. „Beide Systeme erzeugen eine starke Druckwelle, die von der Luft aus nach unten auf die Schneedecke einwirkt“, erklärt Haberfellner und schnallt seine Ski an, um Richtung Osthang zu fahren. Von dort aus sieht man die vier sogenannten „Gazex“-Anlagen, die am Grat oberhalb des Funparks stehen. Über einen – ebenfalls im Hang aufgestellten – Container wird das vollautomatische System mit einem Propan-Sauerstoff-Gemisch gespeist. „Der Gasvorrat reicht für die ganze Saison“, weiß Haberfellner. Per Knopfdruck am Computer entweicht das Gasgemisch und wird am Rohrausgang der Gazex-Kanone gezündet. Etwas aufwändiger gestalten sich die Sprengungen mit den drei extra zu diesem Zwecke errichteten Seilbahnen.

Hier wird in Zweierteams gearbeitet. Ein Mitarbeiter bedient die Sprengseilbahn, ein zweiter, speziell ausgebildeter, fungiert als Sprengmeister. Seine Aufgabe besteht darin, die etwa 40 Zentimeter langen und 2,5 Kilogramm schweren, mit Sprengstoff gefüllten, Patronen zu präparieren. Erst wenn diese „Sprengwürste“ angebohrt und mit einer Sprengkapsel sowie einer Zündschnur versehen wurden, sind sie scharf und werden am Stahlseil befestigt. Je nachdem, an welchem Punkt des Seils die Patrone detonieren soll, wählt der Sprengmeister eine kürzere oder längere Zündschnur. „Ein Meter Zündschnur brennt ungefähr zwei Minuten lang“, rechnet Haberfellner vor. Den am weitesten vom Seilbahnhäuschen entfernten Punkt am Hafelekar anzufahren, dauere etwa acht Minuten. 

Brenzlige Situationen.

An Unfälle bei Sprengungen könne er sich nicht erinnern, sagt Haberfellner. Einmal sei die Sprengseilbahn allerdings durch einen technischen Defekt ausgefallen, der Sprengstoff hing mit bereits brennender Zündschnur wenige Meter vom Steuerhaus entfernt am Seil. Passiert sei zwar niemandem etwas, „in so einem Moment schaut man aber doch, dass man schnell ein paar Meter Abstand gewinnt“, lächelt Haberfellner.