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DEZEMBER 2019

Wer ist hier der Boss?

Eigentlich hat Innsbruck eine neue Stadtregierung, die aber bis dato vor allem mit der Arbeit der letzten beschäftigt war. Und eigentlich hat Georg Willi die Wahl gegen Christine Oppitz-Plörer gewonnen. Die schafft es aber immer wieder, das politische Geschehen zu dominieren. Kann diese Koalition halten?

Foto: Franz Oss, Florian Lechner, TT/Böhm
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is zum Budgetgemeinderat Ende November war Bürgermeister Georg Willi mit Altlasten beschäftigt. Das Finanzdesaster am Patscherkofel und der Pema-2-Deal bestimmten die Debatten – im Gemeinderat wie in der Öffentlichkeit. Mit der Abberufung von Christine Oppitz-Plörer als Vizebürgermeisterin wollte er dem ein Ende setzen. „Damit politische Verantwortung nicht nur ein Schlagwort ist“, wie er betont.

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Als Ersatz für Oppitz-Plörer standen die bisherige grüne Mobilitäts-Stadträtin Uschi Schwarzl und Rudi Federspiel von der FPÖ zur Wahl. Willi wollte Schwarzl – des Machtgleichgewichts wegen – nicht. Ihm wäre zum Beispiel Stadträtin Elisabeth Mayr von der SPÖ lieber gewesen. Das war aber mit FI nicht zu machen, die auf Uschi Schwarzl bestand. Warum wollte FI Schwarzl auf der Regierungsbank sehen? „Wir haben für die sinnvollste Lösung im Sinne einer konstruktiven, stabilen Zusammenarbeit geworben“, sagt FI-Klubobmann Lukas Krackl.

Nur 22 Stimmen.

Ferdinand Karlhofer, Professor für Politikwissenschaft an der Uni Innsbruck, vermutet, dass Christine Oppitz-Plörer und ihre Liste sich nicht ganz ohne Hintergedanken ausgerechnet für Schwarzl entschieden haben: „Sollte Oppitz-Plörer künftig auf ihre Verantwortung für Probleme bei Großprojekten angesprochen werden, wird sie wohl nicht zögern, auch ihre grüne Nachfolgerin in die Pflicht zu nehmen.“ Schließlich war auch Uschi Schwarzl Teil der letzten Stadtregierung. Bei der geheimen Abstimmung im November-Gemeinderat erhielt Uschi Schwarzl 22 Stimmen. Das bedeutet neben der notwendigen Mehrheit auch, dass sie nicht alle Mitglieder der Koalitionspartner auf ihrer Seite hat. Die Stadtregierung hat zusammen 27 Stimmen. Mit ihrer Wahl scheint also nicht nur die Opposition unglücklich zu sein.

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Christine Oppitz-Plörer hatte bei ihrer Wahl zur Vizebürgermeisterin im Mai 2018 übrigens 28 Stimmen erhalten. Bei der Abstimmung im November darüber, ob sie ihre Ressorts – nun als amtsführende Stadträtin – wieder zurückbekommt, erhielt sie 30 Stimmen oder nur zehn Gegenstimmen. 

 

„Nach der Wahl konnte Oppitz sich ausrechnen, dass der Bürger-meistersessel für sie nicht für immer verloren sein muss.“

 

Ferdinand Karlhofer, Politikwissenschaftler

Verkehrte Welt. 

Überhaupt schaffte es Oppitz-Plörer bis dato immer wieder, sich gegen Niederlagen zu wehren, bzw. schafft sie es, aus diesen Niederlagen keine Konsequenzen ziehen zu müssen – angefangen bei ihrer Abwahl im Frühjahr 2018. Nach einer verlorenen Wahl zurückzutreten, ist in der Politik zwar nicht Gesetz, aber üblich. Zumal Oppitz-Plörer bei der zweiten Wahl hintereinander Verluste für ihre Liste eingefahren hatte und mit Christoph Kaufmann ein Nachfolger zumindest vorhanden gewesen wäre. „Es braucht schon viel Rückgrat, oder auch Sturheit, sich in dieser Situation nicht zurückziehen“, so Karlhofer. Für Manfred Mitterwachauer, Chefreporter der Tiroler Tageszeitung und langjähriger Kenner der Stadtpolitik, war Oppitz-Plörers Rücktritt parteiintern nie wirklich ein Thema: „Die Niederlage bei der Bürgermeisterstichwahl gegen Willi werteten einige in der FI-Fraktion als eine Art ,Betriebsunfall‘.Und bis auf die Opposition ist auch nie eine offene Rücktrittsaufforderung aus der Koalition gekommen.“

 

„Dennoch schafft es FI, Willi den einen oder anderen schmerzvollen Nadelstich zuzufügen.“

 

Manfred Mitterwachauer, Chefreporter Tiroler Tageszeitung

Politik der Nadelstiche.

„FI hat gegen die Grünen von Anfang an eine Politik der kleinen Nadelstiche praktiziert“, ortet Politikwissenschaftler Karlhofer. Bei mehreren Themen hat sich FI (und auch die ÖVP) gegen Willi gestellt – zum Beispiel bei den Vorbehaltsflächen (Willi wollte, dass Flächen, die innerhalb von zehn Jahren vom Besitzer nicht verkauft werden, als Bauland rückgewidmet werden können) oder zuletzt bei der von Willi gewünschten Busgarage am Hofgarten. 

Leere Kilometer.

Die aktuelle Stadtregierung war von Beginn an instabiler als die letzte – nicht nur aufgrund der koalitionsinternen Meinungsverschiedenheiten. Eine Konstellation mit vier Parteien ist auch anfälliger für wechselnde Mehrheiten. Wie schnell diese gefunden werden können, zeigte der Sonder-Gemeinderat zu den Vorbehaltsflächen. Willi hatte nur die SPÖ auf seiner Seite.

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Ferdinand Karlhofer zieht daraus auch den Schluss, dass der Nicht-Rücktritt von Oppitz-Plörer weniger mit Sesselkleberei zu tun als vielmehr ein strategisches Motiv hatte. „Schon nach der Wahl konnte Oppitz sich ausrechnen, dass der Bürgermeistersessel für sie noch lange nicht für immer verloren sein muss und sich schon in der laufenden Periode neue Mehrheiten ergeben könnten. “

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Die Absetzung von Christine Oppitz-Plörer als Vizebürgermeisterin bezeichnet er als „unüberlegt und überhastet“ und meint: „Am Ende war das, was in den letzten Wochen abgelaufen ist, nichts als leere Kilometer.“ Der Journalist Mitterwachauer betrachtet es so: „Willi wollte ein Zeichen setzen. Und sprang hierfür auf den FPÖ-Abwahlzug auf. Auch das war ein Zeichen.“ Für konsequent hält er die Aktion nicht: „Politische Verantwortung wahrnehmen heißt aber für Willi offenbar, jemandem das Vertrauen durch eine Abwahl zu entziehen, nur um ihn wenige Wochen später – in anderer Funktion – offenkundig das Vertrauen wieder auszusprechen.“

Wer ist hier der Boss?

Vize-Wahl: Federspiel wollte den Vize machen, Schwarzl eigentlich nicht, Oppitz-Plörer musste den Posten unfreiwillig hergeben. 

Wer ist hier der Boss?

Der Sessel neben Willi war zu Beginn des November-Gemeinderats noch leer. Später nahm dort Uschi Schwarzl Platz.

Die Nummer 1. 

Christine Oppitz-Plörer ist überzeugt, dass ihre Abberufung für viele Menschen und auch die anderen Koalitionspartner nicht nachvollziehbar war. Warum sie in diesem Moment nicht zurückgetreten sei? Dazu habe sie der Zuspruch aus persönlichen Rückmeldungen und der starke Rückhalt ihrer Fraktion bewogen. Außerdem: „Ich bin nicht in der Politik, um Funktionen zu sammeln, sondern um tagtäglich meinen Beitrag für eine gute Lebensqualität zu leisten.“

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Auch der felsenfeste Rückhalt für die massiv unter Beschuss geratene Listenchefin ist nicht gerade alltäglich in der Politik – im Fall von FI aber ungebrochen, bestätigt Klubobmann Krackl. Oppitz-Plörer sei ohne Zweifel die Nummer 1.

 

„Ich bin nicht in der Politik, um Funk-tionen zu sammeln.“

 

Stadträtin Christine Oppitz-Plörer

Und Bürgermeister Willi?

In der Zwischenzeit hat es die Koalition immer-hin geschafft, ein Budget zu erstellen, die Stadtregierung ist wieder vollständig und in der Theorie könnte es jetzt einfach weitergehen. Und Bürgermeister Willi? Der sagt, entscheidend sei nicht, ob die Stadtregierung stabil wirke oder nicht. Entscheidend sei, was sie zusammenbringen würde: „Da können wir auf viele Fortschritte verweisen – von einem Budget in schwierigen Zeiten angefangen.“ Man gehe auch die Herausforderungen des Klimawandels an und würde die Angebote für die Bürger stetig verbessern. „Und das zählt für mich!“

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Für Manfred Mitterwachauer ist von der über Jahre zur Schau gestellten öffentlichen und inhaltlichen Präsenz der FI-Liste – durch den Verlust des Bürgermeistersessels auch strukturell bedingt – nicht viel übriggeblieben: „Die einstige Bürgermeisterfraktion ist nur noch ein Schatten ihrer selbst.“ Dennoch, meint er, schaffe es Für Innsbruck, Willi koalitionsintern den einen oder anderen schmerzvollen Nadelstich zuzufügen. Der Burgfrieden ist also zwar geschlossen und die Arbeit kann in der Theorie weitergehen, dennoch bleibt die Frage, ob die Gräben zwischen Grüne und Für Innsbruck am Ende nicht zu tief sind. 

 

„Entscheidend ist nicht, ob die regierung stabil wirkt. Entscheidend ist, was wir zu-sammenbringen.“

 

Bürgermeister Georg Willi

 

Ferdinand Karlhofer Politikwissenschaftler, Uni Innsbruck

 

 

W

as bedeuten die 22 Stimmen für Uschi Schwarzl bei der Wahl zur Vizebürgermeisterin und die 30 Stimmen für Christine Oppitz-Plörer, die nun ihre Ressorts wieder hat? Ferdinand Karlhofer: Schwarzl hat das Amt erklärtermaßen nicht angestrebt. Es ging einzig darum, einen Vizebürgermeister Federspiel zu verhindern. Trotzdem: Fünf Stimmen weniger, als die Koalition Mandate hat, ist kein Vertrauensbeweis. Umgekehrt hat Oppitz-Plörer nun etliche Stimmen ausgerechnet auch aus den Reihen jener bekommen, die sie davor abgewählt hatten. Da steht einiges quer in der Stadtpolitik.

 

Christine Oppitz-Plörer hat offensichtlich immer noch viel Macht im Gemeinderat – zu viel für Georg Willi bzw. eine stabile Koalition unter seiner Führung? Willi und seine gesamte Fraktion haben einen gravierenden Fehler gemacht. Sie hätten die FPÖ ihren Antrag stellen lassen und sich selbst dann der Stimme enthalten können. Stattdessen hat der Bürgermeister sich sogar zum Wortführer für die Abwahl von Oppitz gemacht. Er hat schlecht gepokert und am Ende verloren, alles zulasten des Zusammenhalts der Koalition. Noch hat Willi als großes Asset seine persönlichen Sympathiewerte. Ist ein kritischer Punkt aber einmal erreicht, dann ist auch dieser Bonus rasch aufgebraucht.

 

Wie geht es mit der Innsbrucker Stadtregierung Ihrer Einschätzung nach nun weiter? Die weitere Arbeit dieser Stadtregierung steht unter keinem guten Stern. Zu rechnen ist vorerst nicht mit einem offenen Koalitionsbruch, wohl aber mit einer Politik der Nadelstiche. Neuwahl ist nicht immer die adäquate Lösung, wenn die beteiligten Kräfte sich mehr belauern, als nach kompromissfähigen Lösungen zu suchen. Für Letzteres braucht es aber gleichermaßen Rückhalt und Konsensfähigkeit. Innsbruck steht in dieser Hinsicht an einem Scheideweg.