„Die Mahlzeiten sind ein wesentlicher Anreiz, dass die Kinder auch tatsächlich in die Schule gehen.“
Stefan Pleger
s ist im Jahr 2008, als die Wahltirolerin Gabi Ziller und der Völser Stefan Pleger im ugandischen Zigoti auf 40 Waisenkinder treffen und ihnen ein Dach über den Kopf bauen. Schnell wird ihnen klar: Wenn sie diesen Kindern eine Chance geben wollen, müssen sie auch sicherstellen, dass sie in die Schule gehen. Freunde in Österreich erklären sich bereit, das Schulgeld zu bezahlen. Das Projekt nimmt Fahrt auf, auch fremde Menschen bieten ihre Hilfe an, und noch im selben Jahr können bereits 80 Kinder in Afrika am Unterricht teilnehmen. Alles super, oder? Eher nicht, müssen die Mitglieder des inzwischen gegründeten Vereins „Kindern eine Chance“ feststellen. Die Infrastruktur an den Schulen ist schlecht, Schulbücher sind Mangelware und auch eine anwesende Lehrperson im Klassenzimmer ist keine Selbstverständlichkeit. „Wenn der Lehrer nebenbei noch Taxifahrer ist, kann es schon vorkommen, dass er lieber Taxi fährt, als die Klasse zu unterrichten, wenn das Geschäft gerade gut läuft“, erzählt Gabi Ziller.
Mahlzeit.
Der Verein – der übrigens bis heute ausschließlich aus ehrenamtlichen Mitgliedern besteht – lässt sich nicht entmutigen und beschließt kurzerhand, eigene Schulen zu gründen und staatliche Einrichtungen mit Maisbrei zu unterstützen. „Diese Mahlzeit ist ein wesentlicher Anreiz, dass die Kinder auch tatsächlich in die Schule gehen“, erklärt Stefan Pleger. Die Lieferungen sind an Auflagen geknüpft.
In Zusammenarbeit mit den ugandischen Schulbehörden kontrollieren sogenannte Field Officers von „Kindern eine Chance“ regelmäßig, wie viele Schüler kommen, ob die Lehrer tatsächlich in den Klassen sind und ob sie sich auch auf den Unterricht vorbereitet haben. Heute betreibt der Verein zehn eigene Schulen und versorgt 59 staatliche Schulen mit 17.500 Mahlzeiten. 36 weitere Schulen warten darauf, ebenfalls ins „Porridge-Programm“ aufgenommen zu werden.
Hilfe zur Selbsthilfe.
Uganda ist eines der ärmsten Länder der Welt. Frauen dort haben im Durchschnitt sechs Kinder. Die Hälfte der 34 Millionen Einwohner ist unter 15 Jahre alt. Ein großer Teil der Kinder sind Waisen. Stefan Pleger und sein Team versuchen, sie möglichst zahlreich in die Schulen zu holen, damit sie durch Bildung später den Kreislauf von Armut und Elend durchbrechen können.
//Lieber lernen viele ein wenig als einige wenige viel – so die Devise des Vereins. „Wir wollen keine Elite schaffen. Das Land braucht Handwerker und Landwirte, keine IT-Spezialisten“, so Pleger. „Die jungen Leute sollen verstehen, wie sie ihr Land sinnvoll nutzen können, wie sie die Familie ernähren können und mit dem Erzeugten Geld verdienen.“ In mehreren Werkstätten – von der Schneiderei über einen Friseur bis hin zur Tischlerei – werden Lehrlinge in handwerklichen und landwirtschaftlichen Berufen geschult.
Die Nachfrage an Ausbildungsplätzen ist mittlerweile größer als das Angebot.
//Im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe hat der Verein in den letzten Jahren auch 48 Brunnen gebohrt – und gleich sechs Jugendlichen gelernt, sie instand zu halten und zu reparieren. Auch dieser Bereich des Vereins kommt schlussendlich den Kindern zugute. Ein Brunnen für ländliche Dörfer verbessert die Qualität des Wassers und verringert Krankheiten, reduziert aber vor allem die Kinderarbeit. „Es sind doch meistens die Kinder, die für die Familien früh morgens und nach der Schule Wasser von oft weit entlegenen und schwer zugänglichen Wasserstellen holen müssen“, erzählt Gabi Ziller.
Was nichts kostet, ist nichts wert.
Bei aller Großherzigkeit und Nächstenliebe sind die Vereinsgründer Gabi Ziller und Stefan Pleger, der früher für Ärzte ohne Grenzen im Einsatz war, alles andere als naiv. „Wir sind keine weitere NGO, die zu den Leuten kommt und einfach Geld verteilt“, so Pleger. In erster Linie ermöglicht der Verein benachteiligten Kindern einen Schulbesuch. Er finanziert das Schulgeld, spendiert Hefte und Stifte und kauft die Schuluniform. Die Art der Unterstützung hat sich mit der Zeit aber ein wenig geändert, nachdem einige Erziehungsberechtigte jegliche Verantwortung für ihre Kinder abschieben wollten, sobald Unterstützung zugesagt wurde.
Besondere Aufmerksamkeit
Seit einigen Jahren hilft der Verein vermehrt behinderten Kindern, die in Uganda oft vernachlässigt werden. Der Bedarf ist groß. Für Kinder mit speziellen Bedürfnissen gibt es keine staatlichen Einrichtungen. Mit seinen zwei Christoph-Bettermann-Schulen hat „Kindern eine Chance“ diese Lücke geschlossen.
//206 Kinder werden derzeit dort betreut. Einer von ihnen ist der schwer körperbehinderte Frank, den die Mitarbeiter nackt und unterernährt aus einer versperrten Lehmhütte holten. Die Großmutter konnte sich nicht ausreichend um ihren Enkel kümmern. Um Familien wie sie zu finden, sind die Therapeuten und Sozialarbeiter mit ihren Motorrädern in den Dörfern unterwegs und beraten vor Ort. Fast täglich dokumentieren sie neue Kinder, die Hilfe brauchen. 1.600 sind es derzeit.
So wird die obligatorische Rolle Toilettenpapier, die Schulkinder jedes Trimester in die Schule mitbringen müssen, nur mehr für diejenigen gekauft, die wirklich keinerlei Einkommen haben. „Was nichts kostet, ist nichts wert. Das Sprichwort gilt auch in Afrika“, weiß Pleger. Um der Mentalität des Handaufhaltens entgegenzuwirken, müssen die geförderten Familien in ihren Möglichkeiten auch selbst zum Schulbesuch beitragen. Sozialarbeiter suchen regelmäßig das Gespräch mit den Erwachsenen, um ihnen klar zu machen, dass der Verein ihnen nicht die Aufgaben als Erziehungsberechtigte des Kindes abnimmt. Auch Waisenkinder bleiben möglichst im familiären Umfeld, um die Wurzeln zur Dorfgemeinschaft nicht abzuschneiden. Nur, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, wird ein Kind ins Internat aufgenommen.
Mehrwert für alle.
Längst hat sich herumgesprochen, dass eine NGO aus Österreich vor allem in ländlichen, unterversorgten Gebieten Schulen aufsperrt. Die Regierung hilft, wo sie kann. So wird derzeit eine ganze Region an das Stromnetz angeschlossen, weil „Kindern eine Chance“ dort eine neue Schule baut. Trotzdem mahlen die Mühlen in Uganda langsam. So mancher freiwillige Helfer ist schon an den kulturellen Unterschieden verzweifelt. Bringt’s das alles überhaupt? „Ja!“, würde Andrew sagen. Sein Bruder war bereits verstorben, die Mutter HIV-positiv, als er vor einigen Jahren sehr krank zu „Kindern eine Chance“ kam. Heute hat er einen guten Job als medizinisch-technischer Assistent in der Hauptstadt und zahlt fleißig einen Mikrokredit ab, mit dem er seiner Mutter ein Haus gebaut hat.
Auch Betty Nabulimu wurde einst in ihrer Ausbildung vom Verein unterstützt. Geboren und aufgewachsen in einer Lehmhütte, leitet sie heute als Geschäftsführerin des Vereins in Uganda ein Team von fast 200 Menschen. Dass es Geschichten wie diese gibt, ist den vielen ehrenamtlichen Tirolern zu verdanken, die ihre Freizeit in den Dienst der guten Sache stellen und das Projekt mit Geldspenden unterstützen. Gemeinsam mit ihnen konnten Gabi Ziller und Stefan Pleger in den letzten zehn Jahren ein riesiges Hilfsprojekt auf die Beine stellen. Und es gibt noch viel zu tun. Gerade wird ein neues Schulareal in Mubende gebaut. Ugandas Kinder können also auch weiterhin auf Hilfe aus Tirol zählen.
„Wir sind keine weitere NGO, die zu den Leuten kommt und einfach Geld verteilt.“
Stefan Pleger
KINDERN EINE CHANCE
Die Organisation „Kindern eine Chance“ wurde 2008 in Innsbruck mit dem Ziel gegründet, benachteiligte Kinder in Uganda zu unterstützen. Sie ist als NGO registriert und vom Staat Uganda offiziell anerkannt. Der Verein arbeitet in Österreich ausschließlich ehrenamtlich. 100 Prozent der Spenden werden direkt in Uganda verwendet, Aufwände in Österreich und Flüge nach Afrika zahlen die Vereinsmitglieder selbst.
Spenden
Der Tiroler Verein betreut rund 1.200 Waisen und andere benachteiligte Kinder. Ermöglicht wird das durch Spenden und Paten, die ein Kind monatlich mit 10 Euro unterstützen.„Kindern eine Chance“ sucht weiterhin neue Paten und auch ehrenamtliche Helfer für das Team in Österreich.
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