Wir empfehlen
APRIL 2017

Durch den Wind

Kaum ein Wetterphänomen wird so mit Innsbruck assoziiert wie der Föhn. Zwei ganz unterschiedliche Forschungsprojekte untersuchen derzeit die Wirkung des warmen Windes auf Wetter und Wesen.

Fotos: Franz Oss, Mario Webhofer
D

as der Schnürlregen für Salzburg, ist der Föhn für Innsbruck. Wer hier wohnt, kennt den Südwind und das Gefühl, wenn er einem um die Ohren weht. Und doch wissen die Wenigsten, wie er entsteht und auf welche Weise er auf das Innsbrucker Wetter einwirkt. Meteorologe Alexander Gohm hat eine Kurzdefinition parat: „Föhn ist nichts anderes als Luft, die auf der dem Wind abgewandten Seite eines Gebirges aus großer Höhe talwärts strömt und dabei erwärmt und getrocknet wird.“ 

Erwärmung beim Absinken.

Ursache dafür, dass die Luftpakete aus teils mehreren tausend Metern Höhe ins Tal absinken, ist ein Hindernis, das der Luftströmung im Weg steht. Ähnlich, wie ein Gesteinsbrocken am Grund eines Flusses das Wasser ablenkt, zwingen Berge oder Gebirgskämme den Wind dazu, in die Höhe auszuweichen. Die Stromlinien des Windes reagieren auf das Hindernis, indem sie versuchen, in den Ausgangszustand zurückzukehren. Unmittelbar hinter dem Berg sinken die Luftmassen deshalb ab. 

 

Alexander Gohm

Niederschlag sei für die Entstehung von Föhn nicht notwendig, erklärt Alexander Gohm. „Diese Vorstellung hält sich aber nach wie vor hartnäckig.“ Dass wir Föhn meist als warm wahrnehmen, liegt daran, dass die Luftmassen beim Herabsinken auf die Stadt durch den in der Tiefe steigenden Luftdruck immer weiter zusammengepresst und so um etwa ein Grad je hundert Meter Höhe erwärmt werden.

Modellregion Innsbruck.

Föhn kann überall dort entstehen, wo es eine Großwetterlage mit starken Querströmungen zu einem Gebirge gibt – in den Anden also genauso wie auf der antarktischen Halbinsel. Aufgrund seiner Lage ist Innsbruck aber geradezu eine Modellregion zur Erklärung der Föhnbildung, weiß Alexander Gohm. Durch Luftdruckunterschiede entsteht eine Ausgleichsströmung von Süden nach Norden. Im Wipptal wird diese Strömung kanalisiert, am Brennerpass kommt es schließlich zum Absinken von Luftpaketen. Diese steuern geradewegs auf Innsbruck zu, das – begrenzt durch die Nordkette – genau am Ende der Föhnschneise liegt. Da der von Süden kommende Föhn zu einem Teil von der Nordkette reflektiert wird, kann er in deren unmittelbarer Umgebung auch als West- oder Ostwind in Erscheinung treten.

// 

Damit es der Föhn aber überhaupt durch das Wipptal bis in die Stadt schafft, muss er stark genug sein, um die Kaltluftschicht am Grunde des Inntals zu durchbrechen. „Der Innsbrucker Kaltluftsee ist sehr stabil und daher nur schwer abbaubar“, erklärt der Meteorologe ein weiteres lokales Spezifikum. Von welchen Faktoren es konkret abhängt, ob der Föhn den Kaltluftsee durchdringt oder stattdessen zusammenbricht, ist auch nach mehr als 110 Jahren Innsbrucker Föhnforschung noch nicht geklärt.

„Föhn ist nichts anderes als Luft, die talwärts strömt und dabei erwärmt und getrocknet wird.“

Alexander Gohm, Meteorologe

„Wir gehen davon aus, dass der Föhn Auswirkungen auf den Cortisolspiegel und damit auf das menschliche Immunsystem hat.“

Christian Schubert, Arzt und Psychologe

 

Zusätzlich will Gohm auf mehreren Hochhäusern größere High-Tech-Geräte aufstellen lassen, die augensichere Laserstrahlen ausschicken, deren Reflexion an den Staubteilchen in der Luft messen und so exakt Richtung und Geschwindigkeit von Luftströmungen – etwa von Turbulenzen – über Innsbruck analysieren. 

// 

An mehreren Föhntagen wird außerdem ein Forschungsflugzeug im Einsatz sein, um Messdaten zu sammeln und Verwirbelungen zu erfassen. „Das bedeutet für den Piloten eine große Herausforderung“, erzählt Gohm. Dieser müsse nämlich genau im turbulenten Grenzbereich zwischen Kaltluftsee und Föhn fliegen, um möglichst aussagekräftige Messungen zu erzielen.

Wenn alle spinnen.

„Heute spinnen wieder alle.“ Dieser an Föhntagen in Innsbruck häufig gehörte Satz drückt aus, wovon viele überzeugt sind: Föhn beeinflusst die Psyche und damit das Erleben und Verhalten von Menschen. Wissenschaftlich gesichert ist diese Ansicht aber keineswegs. „Die Forschungslage zu der Frage, wie sich Wetterphänomene auf den Organismus und letztlich auch auf die psychische Verfassung und die sozialen Beziehungen auswirken, ist sehr dünn“, betont der Arzt und Psychologe Christian Schubert. Dass Wetterphänomene ganz allgemein auf den menschlichen Organismus einwirken, sei zwar unstrittig, man kenne aber weder die genauen physiologischen Abläufe noch die Wirkung auf den Körper, wenn – wie beim Föhn – mehrere Parameter wie Schwankungen von Windgeschwindigkeit, Luftdruck und Temperatur zusammenspielen, so Schubert.

Erwiesen ist, dass extreme Temperaturspitzen das Stresssystem im Körper in Gang bringen. Über komplexe neuronale und hormonelle Mechanismen versucht dieser, den Organismus bei sehr kalten oder sehr heißen Temperaturen, aber auch bei einem Absinken des Luftdrucks, im Gleichgewicht zu halten. Körperfunktionen wie Herzkreislaufaktivität und Muskeldurchblutung, aber auch Entzündungsreaktionen werden erhöht. Da eine stressbedingte Entzündung im Organismus nicht nur schützend wirkt, sondern auch Schaden anrichten kann, wird bei Stress das in der Nebenniere gebildete Hormon Cortisol ausgeschüttet, das die Aktivität des Immunsystems hemmt und damit die Entzündungsaktivität herunterreguliert.

Der Mensch als "Wetterwesen".

„Wir gehen also davon aus, dass Wetter im Allgemeinen und der Föhn im Speziellen Auswirkungen auf den Cortisolspiegel und damit auf das menschliche Immunsystem haben“, resümiert Schubert. In der Psychoneuroimmunologie, einer noch jungen Forschungsdisziplin der Medizin, sei ebenfalls bekannt, dass das Immunsystem in einem Zusammenhang zu Erleben und Verhalten steht. Mit einem gänzlich neuen Forschungsansatz will Schubert gemeinsam mit dem Meteorologen Georg Mayr nun das Zusammenwirken von Wetterveränderungen einerseits und psychischen Veränderungen sowie sozialen Beziehungen andererseits unter die Lupe nehmen. Im Zentrum steht dabei die Frage, über welche physiologischen Prozesse das Wetter Immunsystem und Psychologie beeinflusst.

WETTERFÜHLIG. Arzt und Psychologe Christian Schubert erforscht die Wirkung des Wetters auf den Menschen.

Dass Wetterphänomene ganz allgemein auf den menschlichen Organismus einwirken, sei zwar unstrittig, die genauen physiologischen Abläufe kennt man aber nicht.

 

Um darauf Antworten zu finden, entwickelte Christian Schubert ein Forschungsdesign, das in der Lage ist, zeitliche Abfolgen und Dynamiken möglichst genau zu erfassen. „Wetterveränderungen sowie Cortisolspiegel und persönliche Empfindungen der Probanden werden nicht punktuell, sondern engmaschig und über einen Zeitraum von mehreren Monaten erfasst“, erklärt Schubert. Die Versuchspersonen tragen permanent Messgeräte am Handgelenk, die Luftdruck, Temperatur, Sonnenlichteinstrahlung, Position, Luftfeuchtigkeit und körperliche Bewegung aufzeichnen.

// 

Zusätzlich wird ihr Urin gesammelt, um Schwankungen des Cortisolspiegels messen zu können. Psychologische Aspekte werden mittels Fragebögen und wöchentlichen persönlichen Interviews erhoben. Das aufwändige Prozedere soll verhindern, dass individuell unterschiedlich ausgeprägte Hormonschwankungen, die etwa durch das Ausschütten von Cortisol in einer Schrecksituation hervorgerufen werden, die in der Studie zu erwartenden Effekte des Wetters verfälschen.

Föhn-Facts

 

Frühling und Herbst sind die typischen Föhn-Saisonen in Innsbruck. Im Winter kommt Föhn seltener vor – 2008 musste das Bergiselspringen der Vierschanzentournee dennoch wegen eines Föhnsturms abgesagt werden.

 

 

Bereits in den Jahren 1906 und 1910 führte Heinrich von Ficker seine "Innsbrucker Föhnstudien" durch. Mit einem Ballon untersuchte er die Luftströmung des Föhns.

 

Ob es an Föhntagen zu mehr Unfällen oder Straftaten kommt, wird von der Polizei nicht statistisch erfasst.

 

 

Laut der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) bringt es Innsbruck durchschnittlich auf 45 Föhntage pro Jahr.

 

 

Der Innsbrucker Föhn kann einerseits Stickoxide „wegblasen“, andererseits aber die lokale Ozon-Belastung erhöhen.