ass im Oktober 2019 die Universität Innsbruck ihren 350. Geburtstag feiert, verdient eine mindestens so weit vorauseilende euphorische Betrachtung, wie es Kletter- und Radweltmeisterschaften genossen haben. Denn die Uni prägt diese Stadt mehr, als es ihren Benutzern bewusst ist. Sie wirkt hier so identitätsstiftend wie die nahen Berge – und scheint auch so selbstverständlich. Doch als urbane Normalität im Herzen der Älpler ergeht es ihr wie dem Pulsschlag. So lange es regelmäßig pocht, fehlt die gebührende Würdigung.
Rund um den 300. Geburtstag.
Ich bin mit dieser Uni aufgewachsen. Sie hat auch mich mitgeprägt, ohne dass es mir bewusst war. Jeden Morgen auf dem Fußweg zum Kindergarten in der Innerkoflerstraße vorbei am alten Hauptgebäude der Universitas Leopoldino-Franciscea Oenipontana. Jeden Mittag viel zu spät zurück, denn der spannendste Spielplatz war die Baustelle für die neue Chirurgie der Universitätsklinik. „English spoken, on parle français“ prangte auf der Uniform des Polizisten, der den Verkehr regelte – an der Klinikkreuzung. Sie blieb der Nabel meiner Welt, bis die Klofrau mit dem Schimpansen und die Totznhacker am Sparkassenplatz mich am rechtzeitigen Heimmarsch von der Gilmschule hinderten.
//Dann der Umzug in den Westen, wo sie gerade „die Technik“ errichteten. Zutritt für Unbefugte verboten: Wenn nicht der Abhang der Peerhöfe, dann war die Baustelle zur künftigen Fakultät für Bauingenieurwesen und Architektur der schönste Tummelplatz für Kinderbanden aus den Höfen der neuen Wohnsiedlung. Und bei jedem Besuch „in der Stadt“ blieb es so unfassbar, dass die Universität schon den 300. Geburtstag feierte, wie es fünf Jahre später unglaublich war, dass es hier schon mehr als 10.000 Studierende gab. Ich verstand auch nicht die Absicht von Norbert Pleifer, als er 1977 das Komm eröffnete, um die Uni der Stadt näher zu bringen – oder umgekehrt. Denn die Universität war dem Teenager so selbstverständlich wie die Fadesse in diesem Provinznest. Als er mit dem Treibhaus antrat, das zu ändern, bildete sich zwar eine „Szene“, doch ich erkannte nicht, wie konstitutiv dafür die Hochschüler sind – wohl weil ich als Journalist die Entwicklung begleitete und kein Student war.
Innsbrucks Einzigartigkeit entsteht in hohem Maße durch seine Alma Mater.
Neue Bauten und neues Leben.
Erst ab der Jahrtausendwende dämmerte mir der wahre Stellenwert der alten Universität für das neue Innsbruck – auch abseits des Einwohnerdrittels, das hier studiert bzw. an oder mit der Uni beschäftigt ist. Als dort, wo ich einst für den Militärdienst gemustert wurde, statt der schäbigen Fennerkaserne 1999 der SoWi-Campus eröffnet wurde, verlagerte sich der Schwerpunkt der Stadt. Die Vitalisierung des Quartiers vom Bahnhof bis zur Messe hat ihren Ursprung im Neubau der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Ungeachtet des einstigen – nach dem Start in der Herrengasse schon zweiten – Hauptgebäudes, der heutigen Theologischen Fakultät am Karl-Rahner-Platz, demonstriert die jüngste architektonische Präsenz der Universität im Zentrum ihr wirkliches Gewicht in Innsbruck: Sie steht stellvertretend für die Tiroler Stadt-Land-Kluft, für ein intellektuelles Klima, das Berge überwindet, und auch für den Widerstand gegen ein allzu agrarisch beherrschtes Land. Sie trägt enorm dazu bei, dass wir heute sagen können: Es gibt keine lebenswertere Stadt. Nirgendwo sonst verbindet sich der Geist der Urbanität enger mit einer schroffen Natur.
Der größte Schatz dieser Stadt.
Zum einen brauchen wir aber staunende Besucher, um diese unsere Selbstverständlichkeiten schätzen zu lernen. Wer seine Gäste an einem Tag Hafelekar, Berg-isel, Ambras und Zentrum erleben lässt, erntet nahezu neidvolle Bewunderung. Zum anderen wird der Wert der Universität für die Stadt erst wirklich bewusst durch den Vergleich mit anderen Kommunen. Innsbrucks Einzigartigkeit entsteht in hohem Maße durch seine das gesellschaftliche Leben mitprägende Alma Mater. Einzig in Graz erreicht die noch ältere und größere Universität eine ähnlich dominierende Rolle für die Lebensqualität. Doch die steirische Hauptstadt genießt nicht den Vorzug der natürlichen Einbettung wie ihr Tiroler Konkurrent. Dadurch verhält sie sich letztlich eher zu Linz wie Innsbruck zu Klagenfurt.
//Auch Oberösterreichs Hauptstadt liegt nicht inmitten atemberaubender Umgebung, der soziale Pulsschlag dort unterliegt aber immer noch eher der alten Industrie als der neuen Universität.
Sie wurde erst 1966 gegründet. Ähnlich ergeht es Klagenfurt im Vergleich mit Innsbruck. Es liegt infolge Wörthersee und halbwegs nahen Bergen in Sachen Natur gleichauf. Zudem hat die Kärntner Regiopole soeben die 100.000-Einwohner-Zahl überschritten. Doch ihre erst 1970 gegründete Uni hat noch keine 12.000 Studierenden. Ungeachtet oder auch infolge der seenahen Lage der Hochschule ist Klagenfurt in seinem Selbstverständnis immer noch eine Stadt mit Universität, Innsbruck hingegen lange schon eine Universitätsstadt. Rational begegnen wir dieser Tatsache auf Schritt und Tritt. Das Jahr bis zum 350. Geburtstag bietet eine gute Gelegenheit, die emotionale Bindung der Bürger zur größten Bildungseinrichtung Westösterreichs zu festigen. Dazu benötigt es keine wirklichen Baustellen wie vor 50 Jahren. Doch wir brauchen mehr geistige Bauarbeit am Verhältnis zum einstigen Elfenbeinturm. Er ist in der aktuellen Bildungsgesellschaft der größte Schatz dieser Stadt.