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NOVEMBER 2020

Speed Dating

Der Nächste, bitte

Die Bäckerei hat im September zur ersten Speed Dating Night gerufen – und auch zwei 6020-Redakteurinnen haben sich unter das mit Masken, Faceshields und Desinfektionsspray bewaffnete Datingvolk gemischt.

Illustration: Monika Cichoń
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laubt man Wikipedia, wurde Speed Dating um 1998 von einem Rabbi in Los Angeles entwickelt, um für mehr Ehen in seiner jüdisch-orthodoxen Gemeinde zu sorgen. Ob das funktioniert hat, weiß Wikipedia nicht – mittlerweile hat es die Idee jedenfalls bis in die Bäckerei geschafft. Genau wie wir zwei und knapp 40 andere leicht aufgekratzte Menschen, die nach der Ausstattung mit Namensschildern und Nummern von Host Adam zu ihrem Sitzplatz geführt werden.

 

Wo sonst Konzerte und Poetry Slams stattfinden, stehen mit Post-it-Blöcken, Stiften, Kerzen und Desinfektionsmittel ausgestattete Holztische U-förmig im Raum. Plätze wechseln im Laufe des Abends nur die Männer – zusammen mit ihren Stühlen, damit die corona-bedingte fixe Sitzplatzzuteilung eingehalten werden kann.

 

Aller Anfang ist schwer.

Da auch während der Dates Maskenpflicht gilt, es aber eher suboptimal ist, das halbe Gesicht mit Stoff zu bedecken, schlagen wir uns als Erstes peinlich lange mit den Einzelteilen unserer gerade erworbenen Faceshields herum, bis sie endlich einsatzfähig sind. Ich fühle mich mit dem an Kinn und Ohren befestigten Schild ziemlich genau so, als hätte ich wieder eine Zahnspange – nur dieses Mal nicht im Mund, sondern davor.

Kurz vor dem Start werden Katharina und ich spontan getrennt, weil ein paar Teilnehmer nicht aufgetaucht sind und der Sitzplan adaptiert werden muss – hier trennen sich deshalb auch unsere Geschichten.

 

Los geht’s.

L: Ich sitze auf meinem neuen Platz am anderen Ende des Raums, mit einem halben Faceshield vorm Gesicht und der Aussicht auf 15 bis 20 Dates in den nächsten zwei bis drei Stunden, mein Weinglas schon zu zwei Dritteln leer, bevor es überhaupt losgegangen ist. Nicht zum ersten Mal in meinem Leben frage ich mich: Wie zur Hölle bin ich eigentlich hier gelandet? Ah ja, stimmt. Ich habe in der Arbeit vorgeschlagen, dass es witzig wäre, jemanden zum Speed Dating zu schicken. Dann ertönt der erste Gong der Klangschale und es geht los.



K: Meinen Fluchtreflex muss ich schon ein wenig unterdrücken, denn der Gedanke, gleich mit 20 Fremden Smalltalk zu betreiben, macht mich nervös. Sieben Minuten soll jede Unterhaltung dauern – mangels ausreichender Mathematikkenntnisse versuche ich erst gar nicht, mir auszurechnen, wie viele Minuten Speed Dating das in Summe ergibt.

 

Die ersten Gespräche vergehen erstaunlich schnell, die Zeit reicht meist nur für die Woher-kommst-du-was-machst-du-so-Fragen.

Es ist überraschend leicht, ins Gespräch zu kommen.

L: Die erste Erkenntnis des Abends: Zeit ist tatsächlich relativ. Was bei manchen nicht genug ist, fühlt sich in anderen Konstellationen an wie eine Ewigkeit. Glücklicherweise überwiegen die angenehmen Gespräche.Nicht alle sind be­sonders spannend, aber ich sehne mich bei den wenigsten nach dem erlösenden Gong – das eine oder andere Mal überrascht er mich sogar.



K: Die Teilnehmer bilden die Innsbrucker Studenten-Hipster-Bobo-Szene ganz gut ab, die Altersgruppe ist mit Anfang 20 bis Mitte 30 gut durchmischt. Im Verlauf des Abends wird es gefühlt immer internationaler: Mexiko, Island, Spanien, Irland, Russland, USA – viele Innsbruck-Newbies nutzen das Speed Dating wohl, um Anschluss zu finden.

 

Wider Erwarten langweilen mich meine Gesprächspartner nur in Ausnahmefällen. Anders verhält es sich mit meinem eigenen Lebenslauf – den kann ich schon bald nicht mehr hören, so oft erzähle ich dasselbe.

 

 

L: Erkenntnis Nummer zwei: Es ist überraschend leicht, ins Gespräch zu kommen – mit den meisten zumindest. Geredet wird über Jobs, Heimat, Tinder-Bashing, Corona, Frisuren, Donald Trump, Sprache, Quantenphysik, Brexit, Goethe, Shakespeare, die Textur des Wortes Kugelschreiber und natürlich Berge, die alle außer mir unglaublich toll finden.

 

Ich verschweige auch nicht, dass ich für 6020 schreibe, aber nur eine Person ahnt, dass ich vermutlich nicht rein privat hier bin. Gefragt, ob ich mal über sie schreiben könnte, werde ich dafür öfter.

Unangenehm ist der Abend eigentlich (fast) nie.

K: Unangenehm ist der Abend eigentlich (fast) nie. Einzige Ausnahme: Ertönt der Gong, kann man um die Telefonnummer oder zweite Dates an der Bar fragen. Manchmal kommt da peinliche Stille und Unbeholfenheit auf. Aber gegen Ende des Abends versinke ich auch in diesen Momenten nicht mehr im Boden. Nach stolzen 2,5 Stunden Speed Dating habe ich zwar fast keine Stimme mehr und einen dezenten Abdruck vom Kinn-Shield, bin aber um eine wirklich unterhaltsame Erfahrung reicher. Seinem Fluchtreflex zu widerstehen, lohnt sich manchmal wirklich.

 

 

L: Es sind natürlich ein paar schräge Typen dabei, mit denen sich recht skurrile Gespräche ergeben, aber es macht überraschend viel Spaß. Ob man damit die Liebe seines Lebens finden kann, weiß ich nicht – interessante Menschen trifft man aber auf jeden Fall.

3 Fragen an ...

... Adam E. Holton, den Veranstalter der Speed Dating Events in der Bäckerei.


6020: Warum gibt es die Speed Dating Nights?

Adam: Wir haben in der Bäckerei gemerkt, dass sich die Menschen nach mehr Kontakt und Interaktion sehnen und Fremde kennenlernen wollen. Außerdem finde ich Dating-Apps sehr langweilig, deshalb wollte ich einen freundlichen, sicheren Ort anbieten, an dem man Menschen treffen und auch lernen kann, mit Zurückweisungen umzugehen.


Was hast du erwartet?

Nichts – ich bin so offen und nervös in den Abend gegangen wie die Teilnehmer. Meine Hoffnung war, dass Leute kommen, offen sind und miteinander reden – dass das funktioniert hat, ist großartig.


Hast du Feedback von den Teilnehmern bekommen?

Einige Teilnehmer haben sich danach bei mir gemeldet und sich bedankt, weil sie jemanden kennengelernt haben und sich weiterhin treffen. Und viele sind schon am Abend mit sehr hilfreichen Anregungen zu mir gekommen, die in die Planung der nächsten Events einfließen werden.

Der Speed-Dating-Termin im November ist schon komplett ausgebucht, im Dezember gibt es aber bereits die nächste Chance (16. Dezember, Mystery Night) – und auch für nächstes Jahr werden aufgrund der starken Nach­frage schon Termine geplant (Hetero & Queer).