Technobunker und Kostümwechsel
Text: Rebecca Müller
Was mich im Moment (noch) bei Laune hält:
Yoga. Erstaunlicherweise bin ich allerdings kein bisschen besser geworden – ich bin von einem Spagat nach wie vor so weit entfernt wie davon, selbst Sauerteigbrot zu backen.
Ansonsten: alte Serien wie „Golden Girls“, „Columbo“ und „Battlestar Galactica“. Und mit Kopfhörern (weil ICH kein Arschloch bin, liebe Nachbarn) durch die Wohnung tanzen – präferierte Spotify-Playlisten: Technobunker, Disco Fever und I Love my 90s Hip-Hop. Aber hauptsächlich Technobunker.
Was andere bei Laune hält, ich aber null nachvollziehen kann:
Einkaufen oder Spaziergehen als „Highlights“. Ich finde beides ausschließlich stressig, gehe maximal einmal pro Woche einkaufen und schleiche lieber früh morgens durch den Wald oder bin mit dem Fahrrad unterwegs (hocherhoben über jeden unangenehmen Slalomlauf durch Menschen hindurch).
Das letzte Mal die Nerven weggeschmissen habe ich:
Als ich schweißgebadet vom Einkaufen zurückgekommen bin und feststellen musste, dass ich eine entscheidende Zutat für ein Gericht vergessen habe. Es sollte eine Lasagne werden. Ich hatte keine Lasagneblätter gekauft. Meine lautstarke Reaktion in etwa: „Na geh, na bitte. So a Scheiß. Fuck! Na. I mog nimma!“ Gefolgt von einem Heulkrampf, inklusive einem zittrig gewimmerten: „Warum?!“
Wie ich mich selbst bescheiße, um eine Tagesstruktur aufrechtzuerhalten:
Ich führe jeden Tag im Homeoffice den gleichen Tanz auf, der hauptsächlich aus mehreren Kostümwechseln besteht: Vom Pyjama in die Tagesklamotten (bequeme, wohlgemerkt), später Sportsachen, dann ein Übergangsoutfit – ich habe zum Beispiel schon die Pyjamahose an, trage aber noch einen BH (einen bügellosen, Ladies, ausschließlich bügellos zurzeit, Ladies) – und nach dem Abendessen zurück in den Pyjama. Thank you for coming to my ted talk.
Was mich am meisten beschäftigt:
Ich habe es aufgebgeben, über das große Ganze nachzudenken und steigere mich lieber in Kleinigkeiten rein – wenn man das Planen von gut 15 Outfits pro Woche als Kleinigkeit bezeichnen will.
„Präferierte Spotify-Playlisten: Technobunker, Disco Fever, I Love my 90s Hip-Hop. Aber hauptsächlich Technobunker.“
Löwenzahn und digitale Opas
Text: Eva Schwienbacher
Was mich im Moment (noch) bei Laune hält:
Bewegung im Freien, schönes Wetter, meine Familie, die Arnika-Topfpflanze und die Hoffnung, dass alles bald wieder halbwegs normal wird.
Was andere bei Laune hält, ich aber null nachvollziehen kann:
Ich habe bereits zwei Packungen Linsen verkocht, die zwei Jahre lang Platz im Küchenregal besetzten. Ich zähle nämlich zu jenen, die Supermärkte derzeit vermeiden. Die Maske lenkt mich (noch) dermaßen ab, dass ich die Hälfte vergesse.
Es irritiert mich, dass im Geschäft alle einen Riesenbogen um mich machen, als sei ich gefährlich wie ein Atomkraftwerk, während im Freien bevorzugt Pensionisten direkt neben mir stehen bleiben und sagen, „Na, du braves Schatzele.“ Gut, sie meinen meinen Sohn damit, ich bin aber immer noch dieselbe potenzielle Virenschleuder.
Das letzte Mal die Nerven weggeschmissen habe ich:
Als es eine halbe Stunde brauchte, ein Skype-Meeting mit fünf Freundinnen zu starten. „Ich seh' nur drei von euch“, „Eva, ich hör dich schlecht“, „also, ich höre dich gut, aber bei mir ist Simone nicht da“. Parallel auf Telegram: „Habt ihr schon begonnen? Ich finde euch nicht.“ Meine Verzweiflung war ähnlich groß wie ein paar Tage zuvor, als mir eine Gärtnerin erklärte, dass sie derzeit keine Tulpen und auch sonst keine Schnittblumen verkaufen. Ich unterdrückte meine Tränen und kaufte die Arnika im Topf neben der Kassa.
Was Tagesstruktur in mein Leben bringt:
Ein junger, kaum ein Meter großer Mann entscheidet, wann der Tag beginnt (manchmal hoffe ich unter der Bettdecke, dass er mich nicht sieht) und bestimmt neben der Arbeit, wie er verläuft. Er will Erdbeeren essen, Schafe/Hunde/Traktoren schauen, Blumen pflücken, nicht sechs Zähne auf einmal kriegen und zwischendurch mit aufs Klo.
Was mich am meisten beschäftigt:
Wann darf ich diesem Knirps wieder erlauben, seinen Löwenzahn der alten Frau mit dem Hund zu schenken? Und wann erlebt er endlich, dass es all die Menschen neben Mama und Papa immer noch in echt gibt?
„Wann darf ich diesem Knirps wieder erlauben, seinen Löwenzahn der alten Frau mit dem Hund zu schenken?“
Verschwörungstheoretiker und Blondie
Text: Lisa Schwarzenauer
Was mich im Moment (noch) bei Laune hält:
Bücher. Blumen. Musik. Spaziergänge im Wald. Yoga. Schwarze Tinte. Tagträume. Gin Tonic. Mein Tagebuch. Fotos meiner Patenkatzen. Der duftende Fliederbusch am Weg zum Supermarkt. Virtuelle Konzerte. Vogelgezwitscher. Tanzen.
Was andere bei Laune hält, ich aber null nachvollziehen kann:
Alle Germ-Vorräte aufzukaufen. Egal, wie viel selbstgebackenes Brot mir momentan auf Instagram entgegenblickt (auf rustikalen Holztischen in sanftem Abendlicht in Szene gesetzt, mit einem ach-so-zufällig drapierten Geschirrtuch und einer zarten Schicht Mehl, natürlich), ich würde darauf wetten, dass nicht mal die Hälfte der glücklichen Besitzer frischer Hefe diese auch tatsächlich für etwas anderes als die Dekoration ihrer Vorratskammer verwendet.
Das letzte Mal die Nerven weggeschmissen habe ich:
Noch gar nicht. Klar, beim Spazierengehen trotz abweisendem Blick, schwarzer Sonnenbrille und Kopfhörern von einem Verschwörungstheoretiker angequatscht zu werden, war jetzt nicht supergeil, aber so was passiert mir, wie ich leider zugeben muss, auch ohne Corona. Von dem her finde ich es nicht schlimm, dass ich ganz viel Zeit alleine in meinem Zimmer verbringen muss, wo ich die einzige potentiell bedenkliche Person bin. #homesweethome
Wie ich mich selbst bescheiße, um eine Tagesstruktur aufrechtzuerhalten:
Mache ich nicht, zumindest nicht bewusst. Es hat sich ganz von selbst ein loser Tagesrhythmus mit ein paar Fixpunkten eingependelt: Aufstehen zwischen 7 und 8, Frühstück gegen 10, Mittagsschlaf zwischen 1 und 2, Abendessen zwischen 5 und 6. Wenn Arbeit ansteht, erledige ich sie. Wenn ich das Bedürfnis habe, etwas Bestimmtes zu machen, mache ich es.
Was mich am meisten beschäftigt:
Dass ich seit Wochen komplett unbewusst auffallend häufig Musik von Künstlern mit Anfangsbuchstaben „B“ höre: Bowie, Bilderbuch, Blondie, Beatles, Black Honey, Biffy Clyro, Phoebe Bridgers. Mit Corona hat das nichts zu tun, oder?
„Klar, beim Spazierengehen trotz abweisendem Blick, schwarzerSonnenbrille und Kopfhörern von einem Verschwörungstheoretiker angequatscht zu werden, war jetzt nicht supergeil.“
Avocado-Kern und Deutschtrap
Text: Haris Kovacevic
Was mich im Moment (noch) bei Laune hält:
Bubble-Shooter, Solitär und Spider-Solitär.
Was andere bei Laune hält, ich aber null nachvollziehen kann:
„Tiger King“. Was haben wir uns über Charlie Sheens Sexismus aufgeregt und mit Blick auf alte Folgen von „Two an a half Men“ gehofft, dass wir dieses Macho-Getue in den Nullerjahren gelassen haben. Und was haben wir jetzt? Drogen, Wildkatzen-Züchter und Fokuhilas.
Was mich zuletzt enttäuscht hat:
Dass ich einsehen musste, dass aus dem Avodado-Kern einfach keine Wurzel wachsen will. Im Tutorial fürs Einsetzen einer Avocado-Pflanze heißt es: einfach drei Zahnstocher seitlich in den Kern bohren, um ihn zu stabilisieren. Und in ein volles Wasserglas stellen. Hab ich so gemacht. Noch vor Wochen. Seither geschah nichts. Ein Hipster wird wohl nicht mehr aus mir, was mich gleichzeitig stolz und nachdenklich macht.
Wie ich mich selbst bescheiße, um eine Tagesstruktur zu erhalten:
Zwischen Bubble-Shooter, Solitär, Spider-Solitär und der regelmäßigen Kontrolle des Avocado-Kerns ist mein neuestes Hobby, unverständliche deutsche Rap-Texte zu decodieren. Ich bin gerade so weit: Der Rapper Haftbefehl singt im Lied „Chabos wissen, wer der Babo ist“ direkt nach der ersten Refrain-Zeile: „Hafti Abi ist der, der im Lambo und Ferrari sitzt. Saudi Arabi Money rich.“ Wenn ich in dem Tempo weitermache, werde ich im Herbst 2023 mit diesem Lied fertig sein.
Was mich am meisten beschäftigt:
Ich frage mich, womit wir uns beschäftigt haben, bevor das alles losgegangen ist. Hier drei Themen, die 2020 durchaus Raum im medialen Rummel gefunden haben:
1. Die 18-jährige Laura Müller schenkt ihrem 48-jährigen Freund Michael Wendler („Sie liebt den DJ“, für alle, die nichts mit dem Namen anfangen können) ein Auto, worauf ein Beef zwischen Oliver Pocher und ihm ausbricht. Den Höhepunkt findet dieser Clinch in einer RTL-Show am 1. März, zur Primetime übrigens.
2. Der Bachelor hat mit allen geschmust und entscheidet sich am Ende für keine (4. März).
3. Xavier Naidoo wird wegen Rassismus aus der DSDS-Jury geworfen (11. März). Und das alles noch fernab vom Sommerloch. Wir leben auf jeden Fall in einer aufregenden Zeit.
„Ich frage mich, womit wir uns beschäftigt haben, bevor das alles losgegangen ist.“