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MÄRZ 2020

Im Trümmerfeld der Stadtpartei

Um die tiefe Krise der Innsbrucker Volkspartei zu verstehen, braucht es den Rückblick auf ihre erfolgreichste Phase. Die war vor einem halben Jahrhundert.

E

s war im Spätherbst 1983, als eine Anekdote in immer neuen Versionen ihre Kreise durch Innsbruck zog. Dabei handelte es sich um keinen Urahnen der Urban Legends, sondern persönliche Erlebnisse von Stadtbenutzern: Ein Dienstwagen fährt vor, auf der Beifahrerseite sitzt Ex-Bürgermeister Alois Lugger, im Fonds der neue Innsbrucker Vize-Chef, Arthur Krasovic. „Hasch eh nix dagegn? I bin’s oanfach so g’wohnt“, hatte der Olympia-Luis dem frischgebackenen Kulturstadtrat zuvor beim Einsteigen beschieden. Der Herbst des Patriarchen: Lugger war 27 Jahre Bürgermeister, drei Jahre Landesrat, 14 Jahre Landtagspräsident, 30 Jahre Landtagsabgeordneter, 1974 Bundespräsidentschaftskandidat der ÖVP, vier Jahre Landesparteiobmann der Tiroler Volkspartei, 13 Jahre Landesobmann des ÖAAB und gefühlt ewig das Um und Auf der Innsbrucker VP. Ein akademisch-städtischer Gegenpol zum 300 Meter weiter residierenden Landeshauptmann und Bauernbündler. Nicht von ungefähr verharrte der Ökonomierat Eduard Wallnöfer dann noch vier Jahre länger im Land- als der Doppeldoktor im Rathaus.

 

Der Walli aber hatte frühzeitig einen internen Gegenpol zugelassen – zumindest ebenbürtig, aber loyal: Als sein Stellvertreter sowie Kultur- und Schullandesrat deckte der Innsbrucker Fritz Prior ab 1965 die offene urbane Flanke des schon zu Lebzeiten legendären Patrons aus Schludern bzw. Barwies. Lugger, dem trotz allen Erfolgs nie solche Volksverehrung zuteil geworden ist, hatte das seit jeher versäumt. In seinem Windschatten ebnete sich lediglich der ÖAAB-Apparatschik Romuald Niescher auf Basis der Netzwerke von Mittelschulverbindungen die Rampe zur Bürgermeister-Nachfolge. Er war bereits 1979 Stadtparteiobmann geworden – und der spätere Tiwag-Vorstand Bruno Wallnöfer schon ein Jahr zuvor Chef der Jungen Volkspartei Tirol.

 

Solch parteiliche Biotope taugten nicht nur als Mitte-Rechts-Nährboden für die 1983 vorerst nur mit der linksalternativen Liste in den Gemeinderat eingezogenen Grünen. Die ihr Mittelmaß schützenden autoritären Strukturen der ÖVP waren auch Dünger für zutiefst bürgerliche Abspaltungen von der Volkspartei. Der Tiroler Arbeitsbund (TAB) unter Willi Steidl und der Innsbrucker Mittelstand (IMS) mit Hermann Weiskopf erzielten bei Nieschers erstem Antreten ihre besten Ergebnisse. 1994, neun Jahre später, zertrümmerte ausgerechnet der Schwiegersohn des Walli, der Doppeldoktor Herwig van Staa, mit Für Innsbruck (FI) die städtische VP. Sie wurde auf Anhieb Zweiter. Ironie eines anderen Schicksals: Auf Rang 1 landete zum ersten und letzten Mal die SP. Der Absturz der kommunalen Sozialdemokratie zu heutiger Schwäche ist allerdings eine ganz andere Geschichte, weil die Roten hier nie über das proporzgestützte Beiwagerl-Dasein hinausgekommen sind.

„Die Innsbrucker VP hat sich im trägen Machterhalt durch Posten und Pöstchen versucht und vor lauter solchen Bäumen den Wald nicht mehr gesehen.“

Vom Sprengmeister zum trägen Proporz-Machterhalt.

Als Senkrechtstarter zum Bürgermeister war van Staa vor einem Vierteljahrhundert der Sprengmeister der Innsbrucker VP. Die Geister, die er rief, die wurd‘ er nicht mehr los – auch nicht als wieder in die Volkspartei eingemeindeter Landeshaupt- und -parteiobmann. Doch die Lunte zur Detonation war bereits vor einem halben Jahrhundert gelegt. Durch einen, der lieber Bundespräsident geworden wäre und das Gespür verloren hatte für die Niederungen (s)einer Stadtpartei, die Nachwuchshoffnungen zu Dutzenden vergraulte. Die Begabtesten traten entweder gar nicht ein und gingen gleich zu Grünen, TAB, IMS und später auch FI oder sie kehrten der Parteipolitik frühzeitig den Rücken. Die (in seinem Blog nachlesbare) Geschichte von Armin Wolf, der nach fünf Jahren in der JVP-Ortsgruppe Olympisches Dorf ungefähr bei Erreichen seiner Volljährigkeit dem Journalismus den Vorzug gegeben hat, erscheint symptomatisch (mir ist es als etwas Älterem schon einige Jahre früher ähnlich ergangen).

 

Geblieben sind jene, die den Anpassungsdruck so lange ausgehalten haben, bis sie ihn selbst ausüben konnten: Zum Beispiel Andreas Wanker, der seine erste politische Sozialisierung Ende der 1970er-Jahre in der Schülervertretung erlebt hat. Zum Beispiel Franz X. Gruber, dem dies ein Jahrzehnt später in der Hochschülerschaft widerfahren ist. Die beiden – Ex- und Fast-Vizebürgermeister – stehen prototypisch für eine Partei, die das Politische aus den Augen verloren hat. Das gilt paradoxerweise sowohl für ihre mangelnde Fähigkeit zu inhaltlichen Visionen für diese Stadt als auch für den abhanden gekommenen absoluten Siegeswillen. Die Innsbrucker VP hat sich stattdessen im trägen Machterhalt durch Posten und Pöstchen versucht und vor lauter solchen Bäumen den Wald nicht mehr gesehen.

Posten und Positionen statt Perspektiven und Visionen.

Hannes Anzengruber, der nun als neuer Vizebürgermeister die Altvorderen verdrängt, ist hingegen geschult im Gipfel- und Wipfelblick von der und auf die Landeshauptstadt. Die von ihr gepachtete Arzler Alm muss er zwar aufgeben, um den Interessenskonflikt mit seiner neuen Zuständigkeit für Land- und Forstwirtschaft zu vermeiden. Mangelnde Bodenhaftung wird dennoch kaum das Problem des Ex-Hüttenwirts. Eher ein Zuviel davon. Er passt fast zu gut zu Landeshauptmann Günther Platter. Wie der ÖAAB-Mann ist er als WB-Vertreter zwar kein Bauernbündler, verkörpert aber dennoch eher die rurale Seite Tirols statt die urbane Ausnahme Innsbruck. Das könnte genau jenes bisschen Zuviel sein, das der bürgerlichen ÖVP-Klientel zu wenig städtisches Selbstbewusstsein in der Rivalität mit dem Land ist.

 

Doch eine Mission Bürgermeister wird ohnehin erst realistisch, wenn es gelingt, den Augiasstall der Stadt-VP endlich auszumisten. Dafür aber ist – nicht nur aufgrund der Expertise aus dem Bauernbund – in erster Linie Parteiobmann Christoph Appler zuständig. Der allerdings galt bisher vor allem als interner Gegner ausgerechnet von Anzengruber, in dessen Schatten er nun steht. Denn in der Öffentlichkeit hat ein Vizebürgermeister mehr Präsenz als der Klubobmann, den Appler jetzt wieder geben darf. Damit ist auch nach diesem Personalkarussell nur eines sicher: Es geht eher um Posten und Positionen als um Perspektiven und Visionen. Die Innsbrucker Volkspartei bleibt sich und ihrer Geschichte treu.