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JUNI 2019

Gaming

Made in IBK

Die Computerspielindustrie ist eine Milliardenbranche. Dabei sind Entwickler weder auf Rohstoffe noch auf einen lokalen Markt angewiesen. Sie können sich ansiedeln, wo es ihnen gefällt – und das tun sie auch, nicht zuletzt in Innsbruck.

Fotos: Axel Springer, Franz Oss
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ine Subkultur sind Computerspiele lange nicht mehr. „Gamer“ ist heute potenziell jeder, der ein Smartphone in der Tasche hat. Spielkonsolen gehören eher zur Haushalts-Elektro-Ausstattung als ein Mixer. Und der PC ist dank CounterStrike, DOTA 2 und Co. mittlerweile ein (E-)Sportgerät. Gespielt wird überall. Und auch Spieleschmieden gibt es allerorts, auch weit abseits von Seattle, dem Silicon Valley und diversen Tech-Metropolen. Denn Spieleentwickler brauchen nicht viel, abgesehen von kreativen Ideen, talentierten Mitarbeitern und ein wenig Unterstützung.

Die Brückenbauer

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Michael Schiestl, Geschäftsführer ClockStone – Lieblingsspiel: Diablo II

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Mit „Avencast: Rise of Magic“ feierten ClockStone ihr Debüt. Aktuell ist „Bridge Constructor Portal“ der erfolgreichste Titel der Innsbrucker Spieleschmiede.

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in einfaches, gekonnt umgesetztes Spielprinzip wurde für das Entwicklerstudio ClockStone zum Erfolgsrezept: „Bridge Constructor“, ein Brückenbau-Simulations-Physik-Puzzle verhalf dem siebenköpfigen Team rund um Michael Schiestl zum Durchbruch: „Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, meint der Studiomitbegründer und Geschäftsführer. „2013, als der erste ‚Bridge Constructor‘ erschienen ist, war der Appstore kleiner und wir waren die ersten, die dort ein Brückenbauspiel im Angebot hatten.“

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Das Entwicklerdebüt von ClockStone war der Constructor aber nicht. Gegründet wurde das Studio vom Kernteam der Entwickler von „Avencast“, einem ambitionierten Action-RPG, das sich ebenfalls nicht verstecken muss: 2010 erschienen, hat es auf der Verkaufsplattform Steam heute ein 7/10-Rating – ein finanzieller Erfolg war es mit etwa hunderttausend verkauften Kopien allerdings nicht.

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„In der Spielebranche ist das Risiko relativ groß“, meint Schiestl. „Viele Developer haben wenige Rücklagen, um einen Schlag ins Wasser zu verkraften.“ Deswegen entwickelt ClockStone neben Spielen auch Industrieanwendungen. Dazu kommen die Einnahmen aus eigenen Projekten, allen voran der Bridge-Constructor-Reihe, die mittlerweile fünf Spiele für PC, Konsolen und Mobilgeräte umfasst – inklusive eines Titels mit Prominenz.

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„Eigentlich hatten wir nach dem vierten ‚Bridge Constructor‘ genug“, erzählt Schiestl. Die Entwickler glaubten, das Potenzial ausgereizt zu haben. Doch dann bot der Entwickler und Publisher Valve dem Studio die Lizenz ihres preisgekrönten Puzzlespiels „Portal“ an, das bis heute als eines der besten Computerspiele überhaupt gilt. „Bridge Constructor Portal“ ergänzte die Reihe nicht nur um neue Spielmechaniken, sondern steigerte ihren Bekanntheitsgrad noch einmal deutlich und sorgte dafür, dass die Entwicklungskosten in kürzester Zeit eingespielt waren. „Das hat uns einen zusätzlichen Finanzpolster geschaffen“, berichtet Schiestl. „Außerdem hat es uns gezeigt, welches Potenzial Kooperationen mit bekannten Marken haben. Das ist eine Strategie, die wir weiterverfolgen wollen – und da haben wir auch noch ein oder zwei Asse in der Rückhand.“

„2013, als der erste ‚Bridge Constructor‘ erschienen ist, war der Appstore kleiner und wir die ersten, die dort ein Brückenbau -Spiel im Angebot hatten.“

Michael Schiestl, Geschäftsführer ClockStone

Spiele, die glücklich machen

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Julian Mautner, Geschäftsführer stillalive studios – Lieblingsspiel: Baldurs Gate II

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Simulation und Management: Die „Bus Simulator“-Reihe ist inzwischen fester Bestandteil des Portfolios von stillalive studios. Mit dem gerade erst erschienenen „Rescue HQ“ zeigen die Entwickler auch, dass sie im Managementgenre sattelfest sind.

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uch die Anfänge der stillalive studios waren bescheiden: Gemeinsam mit zwei Freunden begann Julian Mautner 2006 an einem Spiel zu basteln – „eher zum Spaß“, sagt er. Daraus wurde zunehmend Ernst. Eine Firmengründung, eine erfolgreiche Kickstarterkampagne und einen Publishingvertrag später brachte das mittlerweile siebenköpfige Team 2015 sein Erstlingswerk auf den Markt: das Action-Adventure „Son of Nor“. „Finanziell war es kein Erfolg“, sagt Mautner ganz offen. „Verkauft hat sich es sich rund 16.000 Mal. Raubkopiert worden ist es mehr als zweimal so oft.“

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Entmutigen ließen sich die Entwickler davon nicht. Sicherere Gewässer fanden sie nach der Bauchlandung in Auftragsarbeiten – und bald auch eine neue Passion: „Eine davon war der ‚Bussimulator 16‘“, erzählt Mautner. Das Team entdeckte schnell die Detailverliebtheit und die vielen technischen Herausforderungen, die sich in dem Titel verbargen – und machten sich mit vollem Enthusiasmus daran. „Das ist ein Segment, in dem wir uns sehr schnell wohl gefühlt haben. Wir kreieren eine Welt, die mit lösbaren Konflikten ausgestattet ist. Anstelle von Aggression schaffen wir die Möglichkeit, sich gut zu fühlen, wenn man das Spiel abdreht.“

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Inzwischen hat das mittlerweile rund 25-köpfige Team auch den „Bussimulator 18“ entwickelt und gerade erst den Rettungskräfte-Management-Titel „Rescue-HQ“ veröffentlicht. „Damit bedienen wir das zweite von drei Standbeinen“, meint Mautner. Neben Simulationen haben sich die Entwickler auch auf Management- und Strategietitel eingeschossen. „Auch wenn das unterschiedliche Genres sind, die sich optisch unterschiedlich präsentieren, liegen ihnen sehr ähnliche Mechaniken zugrunde“, sagt er. „Und alle vereint die Tatsache, dass es ‚Wohl­fühl-Spiele‘ sind.“

„Wir kreieren eine Welt, die mit lösbaren Konflik­ten ausgestattet ist. Anstelle von Aggression schaffen wir die Möglichkeit, sich gut zu fühlen, wenn man das Spiel abdreht.“

Julian Mautner, Geschäftsführer stillalive Studios

Am gleichen Strang

Auch wenn der Standort Innsbruck nicht der größte ist: Als Konkurrenten sehen sich ClockStone und stillalive nicht – eher im Gegenteil. „Wir bedienen einen globalen Markt“, meint Schiestl. „Damit konkurrieren wir nicht um einen bestimmten Kundenstamm.“ Das sieht auch Mautner so: „Ich denke, ‚Mitbewerber‘ beschreibt es am besten. In der Innsbrucker Entwicklerszene herrscht eher ein Miteinander und recht reger Austausch.“

Dazu dienen nicht zuletzt die MeetUps: Etwa alle drei Monate treffen sich Entwickler aus ganz Tirol und teilweise auch aus Salzburg und Bayern, um sich im Rahmen eines Vortrags auszutauschen. Dabei geht es vor allem darum, miteinander voneinander zu lernen und das bestehende Netzwerk auszubauen.

Information ist bares Geld

Gaming 6020 A236 1906

Stephanie Jicha

Landtagsabgeordnete der Grünen

 

Lieblingsspiel:

Passionierte League-of-Legends-Zu­seherin

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omputerspiele zu entwickeln hat eine kreative Komponente. „Sie sind zu einem gewissen Grad Kunst“, ist Stephanie Jicha, Landtagsabgeordnete der Grünen, überzeugt. „Zugleich hat die Branche großes wirtschaftliches Potenzial.“ Bayern macht es vor: Dort sind 118 Unternehmen aus dem Gamingsektor angesiedelt. Im vergangenen Jahr sind daraus rund 125 Projekte hervorgegangen – und damit 1.500 ganzjährige Arbeitsplätze geschaffen und  526 Millionen Euro erwirtschaftet worden.

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Das liegt nicht zuletzt daran, dass in Bayern auch Computerspiele gefördert werden. Deswegen hat sich Jicha in Tirol auf die Suche begeben, denn: „Wenn Entwickler ihr Talent als Hobby umsetzen und Geld anderswo verdienen müssen, werden wir das Potenzial verlieren.“ Und siehe da: „Es gibt in Tirol Förderungen, die auf die Computerspielbranche anwendbar sind“, sagt sie. Allen voran die Digitalisierungs-, die Innovations- und die Technologieförderung. „Das Problem ist Information“, erklärt Jicha. „Viele Entwickler wissen nicht, welche Förderungen ihnen zustehen. Und hier ist Aufklärung auf jeden Fall der nächste Schritt.“

„Wenn Entwickler ihr Talent nur als Hobby umsetzen können und Geld anderswo verdienen müssen, werden wir das Potenzial verlieren.“

Stephanie Jicha, Landtagsabgeordnete der Grünen