Wir empfehlen
JULI 2019

Wenn Instagram zum Liebeskiller wird

Immer mehr junge Menschen gehen zur Paar- bzw. Sexualtherapie. Warum das so ist und weshalb das zunehmend mit Social Media zu tun hat, erklärt Ulrike Paul, Paar- und Sexualtherapeutin mit eigener Praxis in Wilten.

Illustrationen: shutterstock.com, Fotos: Franz Oss

6020: Wer kommt zu Ihnen in die Praxis? ULRIKE PAUL: Die ganze Alterspalette und es beginnt inzwischen schon recht früh. Mein jüngster Klient ist erst 16 Jahre alt. Nur von Menschen im höheren Lebensalter, also ab 65 Jahren, wird Paar- und Sexualtherapie leider nicht mehr wirklich in Anspruch genommen. Das ist schade, weil sich auch in diesem Alter Fragestellungen ergeben, die einer Klärung bedürfen. Da ich 25 Jahre in der Aidshilfe gearbeitet habe, kommen übrigens auch viele Homosexuelle zu mir.

Sie arbeiten seit mehr als zehn Jahren als Paar- und Sexualtherapeutin. Haben sich die Problemlagen ihrer Klienten in den letzten Jahren verändert? Definitiv. Die Onlinewelt und Social Media sorgen für neue Themen, die inzwischen in meiner Praxis sogar zu den häufigsten zählen. Durch Facebook, Instagram und Co herrscht bei vielen eine große Verunsicherung im Liebesleben.

Welche Liebesprobleme ergeben sich durch Social Media? Einen Partner zu finden, war immer schon schwierig und paradoxerweise wird die Partnersuche durch die Onlinewelt und ihre vermeintlich unendlichen Möglichkeiten für einige noch schwieriger.

Zur Person:

Dr. Ulrike Paul (55) ist Psychologin, Systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin, Sexualtherapeutin und Sexualpädagogin, Supervisorin und Coach.

„Expartner sind früher häufig aus dem Leben verschwunden, jetzt kann man mit einem Klick schauen, was der andere macht.“

 

Social Media kann die Partnersuche erschweren, was bedeutet das? Mit einem Wisch stehen in der Onlinewelt scheinbar unendlich viele, potentielle Partner zur Verfügung. Durch die übertriebene Inszenierung, die etwa auf Instagram herrscht, werden irre viele Hoffnungen geweckt. Das kann zu überzogenen Erwartungen bei einem Treffen im realen Leben führen und daraufhin zu Enttäuschungen.

// 

Je mehr Treffen, desto mehr Enttäuschungen und Kränkungen, wenn sich etwa der andere nicht mehr meldet. Ghosting, Fishing und Stashing sind nur einige Beispiele für Datingtrends, die unfassbar wehtun. Das kann junge Menschen regelrecht in Krisen stürzen.

Warum war die Partnersuche früher einfacher? Weil sich Paare früher häufiger zufällig und ohne Absicht kennengelernt haben. Dadurch gab es zu Beginn weniger Druck. Eine Liebe muss sich ja auch meistens erst entwickeln. Diese Chance gibt man heutzutage in unserer schnelllebigen Zeit möglicherweise weniger. Denn der nächste Traumpartner könnte ja möglicherweise nur eine Freundschaftsanfrage entfernt sein.

Ghosting:

Unter dem Begriff versteht man einen vollständigen Kontaktabbruch ohne Ankündigung. Obwohl vorher Dates stattgefunden haben oder eine Beziehung bestand, laufen plötzlich jegliche Kontaktversuche ins Leere.

 

 

Ist Social Media auch ein Beziehungskiller? Das kann durchaus passieren. Durch Social Media ergeben sich ganz neue Themen in der Partnerschaft, die bei mir in der Praxis häufig besprochen werden. Gefühlt gibt es überall und zu jeder Zeit das Angebot, den perfekten Partner zu finden. Das kann zu Streit und Eifersucht führen.

Inzwischen gibt es sogar den Begriff „Digitale Eifersucht“, was bedeutet das genau? Hier ein WhatsApp-Chat, da ein Instagram-Herzchen und schon nimmt die Eifersucht beim Partner Fahrt auf. Vor allem Männer, aber auch Frauen tendieren dazu, in sozialen Medien mehr als sonst ihre Fühler auszustrecken. Die unkomplizierte Kommunikation lässt einen schnell mal Grenzen überschreiten, die man im realen Leben wahren würde, und man verletzt damit den Partner.

// 

Anderes Beispiel: Expartner sind früher häufig einfach aus dem Leben verschwunden, jetzt kann man meist mit einem Klick nachschauen, was der andere macht, und erfährt möglicherweise Details, wie neue Partner, die zu Kränkungen führen.

 

„Die unkomplizierte Kommunikation in den sozialen Medien lässt einen schnell mal Grenzen überschreiten.“

 

Wie sollten Paare mit sozialen Medien umgehen, damit sie nicht zum Beziehungskiller werden? Wichtig sind folgende Fragen: Warum zeigt jemand ein verletzendes Verhalten und was löst das beim anderen aus? Hat das Verhalten seinen Ursprung in Unsicherheit, in der Suche nach Bestätigung, liegen narzisstische Gründe vor oder passiert es aus Rache, ist es quasi eine Retourkutsche? Natürlich können aber auch andere Gründe dahinterstecken.

Was ist der nächste Schritt, um die Beziehung stabil zu halten? Verbote bringen wenig. Paare sollten offen besprechen, wie ein kontrollierter Umgang mit diesen Medien stattfinden soll, und Grenzen setzen. Was ist für den anderen in Ordnung und was nicht?

Fishing:

Wenn man Nachrichten an jede Menge Tinder-Matches gleich-
zeitig schickt und abwartet, wer „anbeißt“. Meistens ist es einfach der gleiche Satz, der in Copy-Paste-Manier weitergeleitet wird.

 

 

Welche Tipps können Sie einem Paar in der Krise geben? Man kann schwer Tipps geben, wir haben ja kein Generalrezept. Was sicher hilft, ist Beziehungs­muster zu durchbrechen und Rollen zu ändern. Man soll sich und den Partner mal in einem anderen Rahmen erleben. Positive Erlebnisse sind wichtig, etwa einmal pro Woche ein schöner Abend, an dem bewusst nicht über die Probleme gesprochen wird. Es gilt, Dinge mal bewusst anders zu machen. Zusätzlich hilft aber auch ein Abend pro Woche, bei dem bewusst Probleme angesprochen werden.

Wie helfen Sie als Paartherapeutin? Ich moderiere zunächst mal das Gespräch des Paares. Ich helfe, beide Standpunkte sichtbar zu machen, bin dabei jeweils parteilich, immer auf der Seite desjenigen, der gerade spricht. Dann helfe ich die Standpunkte zu deuten. Ich bin quasi Übersetzungshilfe. Es geht darum, beide Realitäten zu verstehen. Die Paare sollen lernen, sich in den anderen hineinzuversetzen. So bekommen etwa vermeintliche Bosheit, Ignoranz und Rücksichtslosigkeit eine andere Bedeutung. Wichtig ist auch die Frage: Was glauben Sie, was würde sich Ihr Partner wünschen?

„Die Onlinewelt sorgt für neue Themen, die inzwischen in meiner Praxis zu den häufigsten zählen.“

 

Haben Lesben und Schwule andere Beziehungsprobleme? Nicht wirklich, aber für Homosexuelle sind Diskriminierun­gen und Ängste vor dem Coming-out leider immer noch ein großes Thema. Es ergibt sich die Frage: Stehst du zu mir oder müssen wir die Beziehung heimlich leben? Immer mehr ein Thema ist in meiner Praxis der Kinderwunsch von lesbischen Paaren. Hier ergeben sich die Fragen: Wer trägt das Kind aus, was bedeutet es die nicht-biologische Mutter zu sein, was bedeutet Familienglück generell und einiges mehr.  

Was ist das häufigste Sexproblem, mit dem Menschen zu Ihnen kommen? Erektionsstörungen sind ein häufiges Thema bei mir in der Praxis. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Für Männer ist die Potenz identitätsstiftend, wenn da was nicht passt, kann das zu einer großen Krise führen. Wichtig ist einmal mehr die Frage: Was steckt dahinter? Da kommt dann die Therapeutin ins Spiel.

Wenn bei zwei Menschen der Sex nicht passt, hat die Beziehung dann überhaupt eine Chance? Die Beziehung hat definitiv eine Chance, auch wenn der Sex nicht passt. Wichtig ist es, zunächst mal den Druck rauszunehmen. Dann gilt es, wie immer bei einer Paartherapie, sich auf die Perspektive des anderen einzulassen und gemeinsam zu schauen, was sie verändern können, damit der Sex für beide schön wird.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Stashing:

Stashing heißt so viel wie Bunkern, Verstauen oder Verstecken, und genau das macht der Partner mit dem anderen auch. Er verheimlicht ihn den anderen und stellt ihn nicht seinem näheren Umfeld vor.