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DEZEMBER 2019

Es geht uns gut

Das Finanzdebakel am Patscherkofel ist immer noch nicht vollständig aufgeklärt. Die Gletscherpläne in Pitz- und Ötztal entzweien nach wie vor Stadt und Land. Das Transitverkehrsproblem harrt weiterhin vergeblich seiner Lösung. Der Preis fürs Wohnen in Innsbruck ist exorbitant. Und doch: Es geht uns gut in diesem Land.

T

irol isch lei oans, isch a Landl, a kloans, isch a schians, isch a feins, und des Landl isch meins: 95 Jahre alt ist diese Zweithymne, die der Reimmichl alias Sebastian Rieger seiner Heimat geschrieben hat – mit Musik von Vinzenz Goller. Drei Dekaden bevor Florian und Sepp Pedarnig mit „Dem Land Tirol die Treue“ ein Konkurrenzmarsch mit dem gleichen Anspruch gelungen ist. Er wird heute wohl häufiger als „Zu Mantua in Banden“ gesungen – das Andreas-Hofer-Lied mit dem Text von Julius Mosen (1831) und der Melodie von Leopold Knebelsberger (1844). Allen gemeinsam ist die geradezu triefende Heimatliebe – so wie es sich für Hymnen gehört. Offiziellen wie heimlichen. National und regional.

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Trotzdem wird nirgends so viel über Tirol geschimpft wie in Tirol. Das gilt aber auch für die Wiener über Wien und die Kärntner über Kärnten. Nach außen beschwören sie die beste Stadt der Welt und das schönste Land des Planeten. Doch intern raunzen sie es schlecht. Oder ist das nur ein Zerrbild aufgrund der in Medien und sozialen Netzwerken veröffentlichten Meinung? Ist die öffentliche Meinung in Wirklichkeit ganz anders? In Österreich allgemein und Tirol ganz besonders?

Die Zukunft macht den Stillstand zum Rückschritt.

Dafür gibt es Anzeichen: Laut aktueller Umfrage in der gesamten Europäischen Union sind nach den Finnen die Österreicher am zufriedensten mit ihrer Lebensqualität. Im nationalen Ländervergleich sieht ein zuletzt 2017 erhobener Glücksindex Tirol und Vorarlberg voran. Ganz nach dem Motto: „Im Westen die Besten“. Das ist einerseits viel Wasser auf die Mühlen provinzieller Anti-Wien-Reflexe. Daran ist andererseits zu erinnern, wenn interne Heimatkritik wieder einmal übers Ziel hinausschießt.

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Harte, öffentliche Kritik ist ein unverzichtbarer Motor für den Fortschritt. Aber vor allem in Tirol muss dabei immer bewusst bleiben: Es geht uns nicht nur gut. Es geht uns vergleichsweise hervorragend. Diese Selbstverortung beinhaltet weder zwangsläufig Zufriedenheit noch eine Aufforderung nach der Devise: Weiter so, Tirol! Denn wer aufhört, es noch besser, also oft auch anders machen zu wollen, dem droht Stillstand. Und Stillstand ist – zumindest aus der Zukunft betrachtet – ein Rückschritt.

Trotzdem wird nirgends so viel über Tirol geschimpft wie in Tirol.

Tourismus-Vorreiter und Computer-Nachhinker.

Wie gut es uns geht, zeigt nicht nur, aber auch die ungebrochene touristische Sehnsucht nach dem Land. 50 der 2018 insgesamt 150 Millionen Gästenächtigungen in Österreich gehen auf das Konto von Tirol. Sein Bruttoregionalprodukt pro Kopf wird national nur von den Bundesländern Wien und Salzburg übertroffen. 36 Prozent höher als der Schnitt von 281 EU-Regionen erzielt es den 30. Rang – obwohl nahezu alle besser gereihten Provinzen über wirtschaftlich-politische Motoren durch Metropolen oder deutlich größere Städte als Innsbruck verfügen. Eine der wenigen Ausnahmen neben Salzburg ist Südtirol, dessen Regio-BIP um 43 Prozent über dem EU-Durchschnitt liegt. Allein dieser nachbarliche Wettbewerb zeigt, dass es ungeachtet des großen materiellen Wohlstands noch Luft nach oben gibt. Oberbayern übertrifft den europäischen Mittelwert sogar um 77 Prozent. Mit der geringsten Arbeitslosenquote Österreichs schaffte es Tirol im Jahr 2018 sogar auf Platz 23, also in das beste Zehntel der europäischen Regionalrankings. Doch mit weniger als einem Prozent Beschäftigten in der Computerprogrammierung und entsprechender -beratung hinkt es ausgerechnet in einer der wichtigsten Zukunftsbranchen österreich- und europaweit enorm hinterher. 

Mitteleuropameister der Lebenszufriedenheit.

Wo viel Licht ist, fällt manch Schatten – auch über Ungereimtheiten: So liegen die Österreicher nicht nur bei der Gesamtauswertung ihres Lebensglücks lediglich hinter Finnland. Auch bei der Spezialfrage nach der Job-Zufriedenheit landen sie auf Rang 2. Doch wenn es um ihre finanzielle Situation geht, ziehen auch die Dänen, Schweden, Niederländer und Belgier vorbei. Da schaffen es die Alpen- und Donau-Ländler nur auf den sechsten Platz. Dass sie insgesamt Zweiter bleiben, liegt an ihrer Top-Position bei der Zufriedenheit mit persönlichen Beziehungen – gleichauf mit Malta und Slowenien. Da müssen sich die Finnen wohl auch infolge der Weitläufigkeit ihres Landes mit Rang 6 begnügen.

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Unterdessen geraten Glück und Zufriedenheit der Wohnbevölkerung zum immer wichtigeren Faktor im Standortwettbewerb. Während die vermeintlich harte Währung des (Regio-)BIP an Aussagekraft verliert, treten die Soft Skills von Regionen in den Vordergrund. Ganz im Sinne von Helmut Dietls vor 30 Jahren entstandener Fernsehserie „Der ganz normale Wahnsinn“. Da versucht die Hauptfigur in zwölf Folgen vergeblich ein Buch zu schreiben. Sein Titel: „Woran es liegt, dass der Einzelne sich nicht wohl fühlt, obwohl es uns allen so gut geht.“ Ort der Handlung: München – gemäß BIP das Zentrum der neuntstärksten EU-Region. Sie grenzt an den Mitteleuropameister der Lebenszufriedenheit: Ein Kranz von Bergen stolz und hoch erhoben, umringt die Heimat, mein Tirolerland. Die Gipfel strahlen hell in ihrem Glanze und leuchten weit von steiler Felsen Wand (Aus: „Dem Land Tirol die Treue“).