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DEZEMBER 2015

stupid hackathon

Stupid is hard

Lösungen für offensichtliche Probleme finden kann jeder. Wer die Herausforderung sucht, tut Sinnloses – auf hohem technischen Niveau. Ein Besuch beim ersten Innsbrucker Stupid Hackathon.

Fotos: Franz Oss
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ine dumme Idee hatten wir alle schon mal. Sie konsequent bis zum Ende durchzudenken und wider dem gesunden Menschenverstand umzusetzen, ist gar nicht so einfach. Dieser Aufgabe stellten sich die Teilnehmer des ersten Innsbrucker Stupid Hackathons, der Anfang November in der Bäckerei stattfand. Während der Rest der Stadt am Freitagabend das Wochenende plant, haben sie Großes vor: Magnetische Essstäbchen wollen designt und Akku-Entleerungs-Apps entwickelt werden. Diese und andere Vorschläge haben die Bastler und Technik-Freaks schon im Vorfeld mitgebracht. Und so begeben sie sich nun auf die Suche nach Problemen, die erstens keine sind und sich zweitens mit dem Einsatz von möglichst viel Technologie lösen lassen.

Anders Denken.

Eingeladen zu der Veranstaltung haben Matthias Farwick, Postdoc am Institut für Informatik, und Kathrin Treutinger, Doktorandin am Institut für Innovation und Entrepreneurship der Universität Innsbruck. „Hackathons gibt es seit einigen Jahren“, erklärt Farwick. „Dort machen sich technisch Interessierte – vor allem Elektroniker, Bastler, Programmierer – daran, in vorgegebener Zeit eine Idee bis zum Prototypen umzusetzen. Meistens steht ein zu lösendes Problem im Mittelpunkt.“

Beim Stupid Hackathon ist die Herangehensweise etwas anders. Das merkt man, wenn man den Gesprächen zuhört. Immer wieder fällt ein „Nein, zu nützlich“, ein „zu brauchbar“ und das eine oder andere „Das würde jemand kaufen!“, während die Kennenlern-Phase zum Ideen-Workshop wird. In den kommenden 24 Stunden steht bewusste Sinnlosigkeit am Programm.

Sinn-Krise.

Schnell zeigt sich, dass es gar nicht so einfach ist, eine wirklich sinnfreie Idee zu haben. „Thinking of something stupid is really hard“, kommt Gáspár zur alles-überschattenden Erkenntnis. Der Ungar ist aus Budapest angereist, um mitzuhacken. Also muss ein anderer Ansatz her. Anstatt nach Problemen zu suchen, wird überlegt, wie Technologie am nutzlosesten eingesetzt werden kann. Daniel, Arno und Jannik studieren Informatik. Heute grübeln sie, wozu man die Vibration eines Handys nutzen könnte – vom Tanz des Telefons am Tisch bis zur Lemming-App, die es selbständig in den Abgrund springen lässt. Gáspár experimentiert mit zwei Gläsern Cola, eines halb und eines ganz gefüllt. „Stellt man sie auf die iPhone-Kamera“, postuliert er, „müsste man anhand der Helligkeit messen können, wie voll das Glas ist.“ Wozu das gut ist? Natürlich zu nichts. Und so soll es sein. Bevor es losgeht, werden Ideen gepitcht. Dabei kommen auch Marvin und Basti zu Wort.

„In den kommenden 24 Stunden steht bewusste Sinnlosigkeit am Programm.“

 

Dennoch haben sich auch für den Stupid Hackathon Sponsoren gefunden, die für Räumlichkeiten, Material und Verpflegung aufkommen – „hoffentlich, ohne sich bahnbrechende Entwicklungen zu erwarten“, grinst Farwick.

Kooperativ-kreatives Chaos.

Schlussendlich hilft jeder jedem – egal woran man eigentlich arbeitet. Zusammenarbeit ist ein wichtiges Element beim Hackathon. Jeder bringt verschiedenstes Know-how und individuelle Skills mit: Gáspár arbeitet als Software-Spezialist in Budapest. Neben den Informatikern und den Marketing-Studenten nimmt auch Sophie teil, die Slawistik und Biologie studiert hat. Und mit Peter hackt auch ein gelernter Tischler mit. Teammitglieder werden hin- und hergetauscht. Man berät und unterstützt sich gegenseitig. Dazu stehen Werkzeuge vom Lötkolben über die Bohrmaschine bis zum 3D-Drucker zur Verfügung. Elektronikschrott und verschiedenster Krims-Krams dienen zum Ausschlachten. Und ein Eimer bunter Maisstärke-Bausteine hält sowohl als Baumaterial als auch als Snack für zwischendurch her.

Preisverdächtig.

In den 24 Stunden, die die Hacker zur Verfügung haben, tut sich viel. Projekte nähern sich konsequent der Fertigstellung, andere werden aufgegeben oder umgekrempelt. Und auch für spontane Einfälle ist Zeit, wie sich bei der Abschlusspräsentation zeigt. Vor der Jury demonstrieren die Teilnehmer, was aus ihren Ideen geworden ist.

Den Anfang macht Matthias Farwick – außer Konkurrenz. Sein sprechendes Schneidbrett bietet eine Entscheidungshilfe, welches „Lebensmittel“ – zur Auswahl stehen eine Semmel, eine Banane und ein Metallschwamm – zerkleinert werden soll. Nimmt man das Messer zwischen die Zähne, dient das Gerät auch als Drum-Computer. Die Bier-Pegel-App funktioniert gut. Sie erkennt Füllstände und stellt sie grafisch dar. Droht Leere im Glas, warnt sie mit eindringlicher Stimme, ein neues Getränk zu bestellen. Eine weitere App simuliert das Schafe-Zählen und hilft Schlaflosen, dank plötzlich eingeblendeter Schreie und des Bilds eines „Horror-Schafs“, wach zu bleiben. Spannung im Straßenverkehr garantiert eine Ampel mit Sensor, die sofort auf Rot schaltet, wenn sich ein Auto nähert. Und eine Entwicklung schafft es sogar in den App Store: Der Sex Affinity Scanner „berechnet“ anhand der Fingerabdrücke zweier Personen die Chance „ausgeprägterer physischer Interaktion“. Hier gibt es Lob für den absoluten Mangel an Transparenz.

 

Beim Sex Affinity Scanner gibt es Lob für den absoluten Mangel an Transparenz.