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SEPTEMBER 2015

Coverstory

Die Glockengiesser

Seit 1599 werden in Innsbruck Glocken gegossen. Trotz der heutigen Verschmelzung von Tradition mit modernen Technologien bleibt jeder Guss ein ganz besonderes, alchimistisches Erlebnis. 6020 hat es miterlebt.

Fotos: Dominique Huter
Die Glockengiesser
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Die Glockengiesser

VATER-SOHN-WERK. Peter Grassmayr und sein Sohn Andreas nach dem Glockenguss.

Die Glockengiesser
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er Geruch von verbranntem Lehm – erdig und herb – füllt die große Gießhalle der Glockengießerei Grassmayr. Wärme aus dem mächtigen, zylinderförmigen Brennofen steigt empor, mit ihr der Duft von glühendem Metall. Die finalen Vorbereitungen für den Glockenguss laufen auf Hochtouren. Neugierde, Freude und leichte Anspannung breiten sich in der Halle aus. In wenigen Minuten kann es losgehen. Die flüssige Metallmischung im Ofen, bestehend aus 22 Prozent Zinn und 78 Prozent Kupfer, erreicht die Temperatur von 1.150° Celsius und ist zur Bronze verschmolzen. Der Brennofen wird abgestellt. Ein frisch abgeholzter und saftiger Erlenstamm kommt in den Ofen hinzu. Dieser zieht Schlacken ab, welche sich beim Verschmelzen der beiden Metalle gebildet haben. Es folgt die erste Gussprobe. Die flüssige Bronze ist rein, die Temperatur optimal. Der Guss kann beginnen.

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Heute werden Glocken für die Gemeinde Schwarzenberg im Erzgebirge, für ein Glockenspiel in Polen und für den deutschen Schlaginstrumentenverleih „SchagZu“ gegossen. Insgesamt 16 große und mittelgroße Glocken. Spannungsvoll warten die angereisten Vertreter der Gemeinde auf den Beginn der Gusszeremonie. Diese beginnt stets mit einem Gebet. „Es kann immer etwas passieren beim Guss“, bekennt Johannes Grassmayr einige Tage nach dem Glockenguss. „Wenn das flüssige Metall ausrinnt, oder die Form halb voll wird, müssen wir den Guss wiederholen. Es gehört dazu. Uns bleiben nur der Wunsch und die Hoffnung, dass niemand dabei verletzt wird.“ Dafür wird gebetet. Und natürlich für ein geglücktes Ergebnis – ästhetisch schöne Glocken mit dem perfekten Klang.

STRADIVARI UNTER DEN GLOCKEN.

Bei Grassmayr geht es darum, „die Stradivari unter den Glocken herzustellen“, so Johannes Grassmayr. Dabei kommt es vor allem auf den Klang der Glocke an, welcher sich aus ganz vielen unterschiedlichen Teiltönen zusammensetzt. „Beim Anschlag der Glocke erklingt nicht nur ein Ton, sondern ein ganzer Wasserfall an Tönen“, erklärt der Glockengießer.

„Angst darf man nicht haben, Respekt vor dem Metall schon. Mit Respekt ist man achtsam und konzentriert.“

Peter Grassmayr

 

„Wenn wir eine Glocke in mehrere Glockenringe schneiden, hätte jeder dieser Ringe eine ganz bestimmte Frequenz. Diese ergibt sich aus der Relation der Wandstärke (der Glockenrippe) zum Durchmesser“, so der Glockenexperte. Unter diesen Teiltönen hört man einen Ton besonders stark – den Schlagton. Zusammen mit der Oberoktave, der Unteroktave, der Prime, der Terz und der Quinte, prägt er den Tonaufbau einer Glocke. Erstaunlicherweise ist der Schlagton selbst weder mit einem physikalischen noch einem elektronischen Gerät messbar und stellt eigentlich eine akustische Täuschung dar. Erst die Vermischung aller echten Töne lässt den Schlagton entstehen. Für die musikalische Perfektion müssen am Ende alle Teiltöne sowohl innerhalb einer Glocke als auch im Geläute mehrerer Glocken zueinander in klanglicher Harmonie stehen.

WEITERGABE DES FEUERS.

Der Guss beginnt. Die glühende, gelbe Bronze wird in ein spezielles Gefäß abgefüllt. Wie Wasser fließt das heiße Metall. Anschließend wird es über eine spezielle Öffnung in die vorbereiteten Gussformen hineingegossen. Eine nach der anderen. Die Gussformen aus Ziegeln und einer Lehmmischung wurden im Vorfeld vorbereitet. Dabei wurde in vier Schritten ein identer Hohlraum kreiert, den die Bronzeflüssigkeit ausfüllt und am Ende der Glocke ihre Form verleiht. Auch das Negativbild der Inschriften und Verzierungen wurde in diesem Prozess integriert.

 

Das oberste Geheimnis des Familienunternehmens ist die Berechnung der Glockenform. Durch Forschungen wird es heute laufend erweitert, jedoch stets sorgfältig gehütet: „Es bleibt ausschließlich in der Familie“, erzählt Grassmayr. Und ganz im Sinne der Worte Gustav Mahlers – „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“ – wird das Gießfeuer weitergereicht. Ab dem zehnten Lebensjahr dürfen die Kinder in der Familie mitgießen. Mädchen wie Jungen. Im Moment wollen alle sechs Kinder Glockengießer werden.

GLOCKEN SOLLEN MENSCHEN BERÜHREN.

Das Spiel mit dem Feuer ist vorbei. Alle 16 Glockenformen sind gefüllt. Insgesamt 150 Tonnen Metall sind heute geflossen. Langsam schwindet die Anspannung aus den Gesichtern der Glockengießer. Noch einige Schweißtropfen und Spuren schwarzer Kohle erinnern an die konzentrierte Arbeit bei extremen Temperaturen. „Angst darf man nicht haben, Respekt vor dem Metall schon“, sagt Peter Grassmayr. „Mit Respekt ist man achtsam und konzentriert.“

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Nach dem Guss müssen die Glocken auskühlen. Erst in einigen Tagen wissen die Glockengießer, ob der Guss erfolgreich war. Dann nämlich wird jede einzelne entmantelt. Ob die Form gelungen ist, wird bereits hier ersichtlich. Auch der erste, noch jungfräuliche Klang ertönt an dieser Stelle. Fertig ist die Glocke jedoch erst, wenn sie geputzt und poliert ist. Dann kommt es darauf an, ob die Verzierungen gelungen sind, die Engelskrone schön aussieht, alle akustisch hörbaren Teiltöne in klanglicher Harmonie zueinander stehen, die Abklingdauer lang ist und der Klang der Glocke uns auf der emotionalen Ebene berührt. Und natürlich hat jede Glocke ihren Klöppel.

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Die Grassmayr-Brüder stellen sich der Herausforderung und scheuen sich nicht, ausgefallene Aufträge anzunehmen. Ein solches Projekt war die 7,5 Meter hohe und 2,7 Tonnen schwere Klangröhre für die Stadt Aarhus in Dänemark. Bei der Geburt eines jeden Kindes soll sie angeschlagen werden und mit einem tiefen Klang die Neugeborenen begrüßen. Ideenschöpferin der Klangröhre ist die dänische Künstlerin Kirstine Roepstorff. Erfahrungswerte für einen solchen Guss gab es nicht, das Projekt wurde zur bisher größten Herausforderung für die Innsbrucker Glockengießer. Beim zweiten Versuch ist die größte Klangröhre der Welt gelungen und wurde vor wenigen Wochen von der dänischen Königin eingeweiht. „Die Klangröhre war für uns mehr als nur die Herausforderung, es war ein Herzensprojekt“, gesteht Johannes Grassmayr. Und für die Zukunft freut er sich über jeden Auftrag, der dazu führt, „dass Glocken Menschen berühren und Freude vermitteln“.

Die Innsbrucker Glockengießerei blickt auf eine 400-jährige Tradition und ist das älteste Familienunternehmen in Österreich.

DABEI SEIN!

Einmal im Jahr wird auch am Samstag gegossen. An diesem Tag stehen die Tore der Glockengießerei Grassmayr für alle offen – zur „Langen Nacht der Museen“ am 3. Oktober. An diesem Abend werden mehrere Führungen durch die Gießerei und das Glockenmuseum stattfinden. Dabei wird man im Klangraum die unterschiedlichsten Glockentöne hören, die Schwingungen einer Klangschale spüren, und vor allem auch den Guss einer Glocke hautnah miterleben dürfen – jeweils um 18.30, 19.30 und 20.30 Uhr. www.grassmayr.at