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SEPTEMBER 2015

Interview

Das Dorf und der Ruf

Dem Olympischen Dorf lastet seit nunmehr 50 Jahren ein schlechter Ruf an. Johannes Panhofer von der Uni Innsbruck konnte im Rahmen einer Stadtteilanalyse, die er gemeinsam mit sieben Studierendendurchgeführt hat, nachweisen, dass dieser Ruf der Realität nicht gerecht wird.

Text: Nina Zacke
Fotos: Franz Oss
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Leben Sie selbst im O-Dorf? Johannes Panhofer: Nein, ich lebe nicht im O-Dorf. Ich habe dort über Kontakte der Pfarrgemeinde die Untersuchung gestartet. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des O-Dorfes letztes Jahr kam die Idee für diese Stadtteilanalyse, da es eben doch ein sehr spezieller Stadtteil ist. Einerseits aufgrund seiner Geschichte und andererseits angesichts der Vielfalt seiner Bewohner.

Wie sind Sie an das Thema herangegangen? Ein erster Schritt neben der Recherche war, durch das Dorf zu gehen. Welchen Eindruck hat man? Was fällt auf? Wo sind die Hotspots? Wo treffen sich die Leute? Wo unterhält man sich? Wo sind die Kinder und die Mütter? Das wird alles zusammengetragen und dann ergeben sich Fragen. Zum Beispiel: Es gibt dort viele Ausländer. Wie ist das Miteinander? Die Frage nach der Lebensqualität – wie empfinden es die Leute selber? Was macht die Jugend in dem Stadtteil? Welche Rolle spielt die Pfarrgemeinde? Was spielt sich am Dorfplatz ab? Und dann kommt die Befragungsphase – wir waren vier Tage vor Ort und haben Bewohner befragt.

ZUR PERSON: Johannes Panhofer hat Philosophie, Theologie und Psychologie in Linz, Tübingen und Innsbruck studiert. Er arbeitet als Univ.-Assistent am Institut für Praktische Theologie in Innsbruck.
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Der Name ist Programm.

Das O-Dorf besitzt dörfliche Strukturen.

 

Woher kommt dann der schlechte Ruf des O-Dorfs und wie kann sich dieser erhalten, wenn die Bewohner dies heute anders empfinden? Die zweite Frage ist leichter zu beantworten. Man weiß von der Vorurteilsforschung, dass sich Vorurteile umso besser erhalten, je weniger Kontakt man zu dem Objekt hat. Viele der Leute, die ein negatives Bild haben, haben entweder überhaupt keinen Kontakt zum O-Dorf oder nur einen entfernten. Und so bleibt dieses Vorurteil über Jahrzehnte bestehen, sei es durch Medien oder Geschichten bis hin zu Legenden, die weitergegeben werden. Und da wären wir bei der ersten Frage. Es gibt die Legende der Bocksiedlung, die auf der Südseite vom Inn in der Reichenau angesiedelt war. Einige der Bewohner sind ins O-Dorf übersiedelt und haben auch ihre Lebensweisen mitgenommen. Da gibt es Geschichten von Raufereien, Lagerfeuern auf dem Balkon eines Hochhauses oder Ziegen im Badezimmer, die dort gehalten und gefüttert wurden. Diese einprägsamen Anekdoten – deren historische Basis in den wenigsten Fällen nachweisbar ist – haben dazu geführt, dass sich Gerüchte oder auch Halbwahrheiten zu Tatsachen entwickelt haben, die dann mündlich oder auch über Medien weitergetragen worden sind. Und so entsteht ein schlechter Ruf.

Sie haben des Öfteren vom Olympischen Dorf wirklich als Dorf gesprochen. Gibt es tatsächlich dörfliche Strukturen? Das O-Dorf hat ganz eindeutig dörfliche Strukturen im Hintergrund, angefangen vom Dorfplatz, der bewusst geschaffen worden ist, bis hin zu seinem Namen. Es gibt ein Bild, das zeigt, dass auf diesem Platz früher Heumandln gestanden sind. Heute sieht man die Nachbildungen dieser Heumandln – diese sind bewusst so gestaltet worden. Tatsächlich ist es so, dass dieser Platz etwas vom Charakter und der Funktion eines Dorfplatzes hat. Die meisten Wege der Leute, die sich im Dorf fortbewegen, führen über diesen Platz, die Leute treffen sich dort zum Plausch oder zur Verabredung oder weil genau an diesem Dorfplatz viele soziale Strukturen angesiedelt sind. Es gibt die Vereinshäuser, die Musikapelle, die Briefmarkensammler, das Jugendzentrum, die Kindergärten und einen Supermarkt – das schafft schon einmal einen sozialen Begegnungspunkt. Wir konnten Szenen beobachten, die stark an Dorfszenen erinnerten, wenn die Mutter mit dem Kind über den Platz zum Kindergarten geht, die Oma aus dem Fenster des fünften Stocks eines Hochhauses herunterschaut, der Enkelin zuruft und ihr zum Abschied winkt – diese räumliche Nähe könnte in jedem Dorf vorkommen.

„Das Dorf wächst mit seinen Bewohnern und auch mit der Altersstruktur, die sich massiv verschoben hat.“

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Diese Menschen sind heute zwischen 70 und 80 Jahre alt. Genau jetzt brauchen sie dieses Altenpflegeheim, das vor Kurzem gebaut worden ist. Das Dorf wächst mit seinen Bewohnern und auch mit der Altersstruktur, die sich massiv verschoben hat.

Wie wird die Vielfalt der Nationalitäten im O-Dorf gelebt? Man kann vielleicht sagen, dass die zwei Hauptsichtweisen hierzu nicht zutreffen. Die eine wäre, dass es dort mehr Konflikte zwischen zugezogenen Migranten und Einheimischen gäbe. Das ist überhaupt nicht der Fall. Die Polizei erzählte uns, dass es eher innerhalb der Einheimischen oder innerhalb der zugezogenen Migranten Streit und Auseinandersetzungen gibt. Die andere ist, dass man sich wünschen würde, dass es ein gutes Miteinander gäbe. Auch dies stimmt zu einem großen Teil nicht. In Wirklichkeit ist es ein friedliches Nebeneinander. Also weder ein Miteinander noch ein Gegeneinander, sondern ein harmonisches Nebeneinander, das gut funktioniert.

Vielen Dank für das Gespräch.