Anfang des Jahres bist du in Patagonien mit Mayan Smith-Gobat die Route „Riders on the Storm“ am Torre Central im Torres del Paine geklettert. Noch niemandem ist es gelungen, diese Route frei zu klettern. Ihr habt den Gipfel erreicht, eine neue Variante für die besonders schwierigen Seillängen gefunden, doch am Ende ist eine freie Begehung nicht geglückt. Was hast du aus dieser Erfahrung mitgenommen?
Ines Papert: Das Hauptziel war natürlich, den Gipfel zu erreichen. Das ist immer ein Geschenk, vor allem in Patagonien, wo Schönwetter-Fenster selten und sehr kurz sind. Wir hatten den perfekten Gipfeltag und haben uns entschieden, die anderen Längen zu einem anderen Zeitpunkt zu klettern. Leider ist es sich am Ende doch nicht ausgegangen. Für mich war es eine neue und tolle Erfahrung, da ich nicht so die Big-Wall-Kletterin bin. Allein die 400 Kilo Material hochzubekommen, ist grenzwertig. In dem Fall ging es nicht anders, aber es wird sicherlich nicht mein Lieblingsstil. Man ist so unbeweglich und kommt nur langsam vorwärts. Ich bevorzuge den Alpinstil, also das Klettern mit leichtem Gepäck und maximal einem Biwak.
Mayan möchte die freie Begehung der Route nochmals versuchen, du hast dich bereits dagegen entschieden, warum?
Ich habe immer wieder drüber nachgedacht, auch schon während der Expedition. Die Variante, die wir gefunden haben, ist frei kletterbar, aber sie ist sehr schwer und man müsste wieder viel Zeit investieren und auch Glück mit dem Wetter haben. Außerdem ist man in der Wand sehr stark dem Steinschlag ausgesetzt. Wir hatten wirklich viel Glück – uns ist mitten in der Nacht ein großer Stein ins Portaledge gefallen und direkt neben meinem Knie aufgeschlagen.
Dann sind uns während des Kletterns große Eisblöcke um die Ohren geflogen und einer hat sogar meinen Kletterhelm zerteilt. Zum Schluss hatte ich das Statikseil aus dem Schnee gezogen und es hing nur noch an einer Litze, und das 300 Meter über dem Boden. Diese Situationen haben zu meiner Entscheidung geführt. Es ist nun mal eine große, gefährliche Wand mit vielen Gefahren. Mayan sieht es eben etwas anders, ihr ist es wichtig genug, um das Risiko in Kauf zu nehmen.
Um zu erreichen, was du bisher erreicht hast, muss man Grenzen überschreiten. Wo definierst du deine Grenzen und wie gehst du mit dem Risiko um?
Wo sind die Grenzen? Das weiß man gar nicht so genau. Meistens sind sie im Kopf. Oder das Wetter setzt Grenzen, natürlich auch die Schwierigkeit. Für mich ist es sehr wichtig, dass das objektive Risiko überschaubar ist. Oft hilft mir mein Bauchgefühl und ich entscheide situativ.
Was gehört für dich zum Erfolg beim Bergsteigen dazu bzw. kann man dabei überhaupt von Erfolg sprechen?
Ich finde schon, dass man von Erfolg sprechen kann, wenn man oben ankommt, eine schwierige Linie oder eine neue Route klettert. Erfolg ist für mich auch immer, als Team wieder zurückzukommen, sich in die Augen schauen zu können und nach wie vor gute Freunde zu sein. Ansonsten habe ich keine Freude an dem Erlebnis gehabt. Und klar, wenn man nicht oben ankommt und scheitert, dann tut das sehr weh. In der Zwischenzeit kann ich viel besser damit umgehen und rückblickend gesehen bin ich mit dem Scheitern auch gewachsen.
Steve House hat mal beschrieben, wie er nach dem großen Ziel, der Besteigung der Rupalwand am Nanga Parbat, erst mal in ein tiefes Loch gefallen ist. Passiert dir das auch?
Es ist mir früher auch passiert, ich weiß gar
nicht, warum es nachgelassen hat. Ein Beispiel dafür ist die „Schwarze Madonna“. Es ist keine wahnsinnig schwere Route, dafür eine, die mir sehr am Herzen liegt, und damals war es unsere Erstbegehung, zuhause am Untersberg. Ich wollte sie unbedingt frei klettern. Es hat sich dann über einen sehr langen Zeitraum hingezogen und als es schließlich passiert ist, habe ich mir gedacht: Hm, und jetzt? Ich bin nicht schwermütig geworden, aber es ist eine gewisse Leere entstanden. Allerdings habe ich meinen Alltag, meinen Sohn und kann gar nicht so viel über das Klettern nachdenken wie vielleicht andere. Darüber bin ich auch froh.
Was motiviert dich zum täglichen Training?
Mir geht es im Leben so, dass ich zwar immer gern in Bewegung bin, mich aber schwer für etwas sehr Anstrengendes motivieren könnte, wenn ich kein Ziel dafür hätte. Für Patagonien habe ich gewusst, dass mir ganz viel Erfahrung im Rissklettern fehlt, deshalb bin ich mit meinem Sohn nach Kanada ins Squamish und zu den Bugaboos gefahren, dann im Herbst nach Yosemite und Indian Creek, wo wir viel an Rissen geklettert sind. Ansonsten habe ich das alltägliche Training daheim, im Wechsel zwischen Ausdauer und Klettern, aber ich folge keinem Trainingsplan.
Nach welchen Kriterien suchst du deine Projekte aus?
Die Linie muss für mich ästhetisch sein und auch das Gefühl mitbringen, es könnte möglich sein. Wenn ich mir 100 % sicher bin, dass es geht, wäre es zu einfach. Ich suche mir Linien heraus, die mich fordern. Dabei entsteht schon das eine oder andere Mal der Fall, dass es nicht gelingt, schließlich muss immer alles passen – die Verhältnisse, der Gesundheitszustand und, ganz wichtig, auch das Team.
Inwieweit fließen die Erwartungen der Sponsoren in deine Projektauswahl mit ein?
Sie haben in erster Linie den Wunsch, dass schöne Fotos mitkommen und das Ziel gelingt. Letzteres können sie zwar erhoffen, aber ich bin frei von irgendwelchen Erwartungshaltungen und wenn ich spüre, dass jemand versucht,
„Erfolg ist für mich auch immer, als Team wieder zurückzukommen und nach wie vor gute Freunde zu sein.“
Druck auszuüben, suche ich das Gespräch. Jeder, der aus dem Bergsport kommt und selber Alpinist oder Kletterer ist, weiß, dass alles, was wir machen, mit Scheitern verbunden ist. Und so wie man sich im Laufe des Lebens Kletterpartner aussucht, so ist es auch mit Firmen. Am Ende entstehen immer die richtigen Konstellationen.
Du bist relativ spät zum Bergsteigen gekommen, erst mit 20 Jahren, trotzdem bist du heute Extremkletterin. Was gehört neben Talent und Motivation noch dazu?
Vielleicht könnte ich noch viel schwerer klettern, wenn ich früher angefangen hätte. Aber der Vorteil könnte sein, dass man mit dem späten Anfang länger Freude dran hat. Außerdem hatte ich immer das Gefühl, etwas versäumt zu haben und es innerhalb von kurzer Zeit nachholen zu müssen.
Aber grundsätzlich ist es Teil meiner positiven Motivation. Ich finde es auch wichtig, mit Leuten klettern zu gehen, die besser sind als man selbst, oder auf Expeditionen zu gehen, wo jeder seine Stärken mitbringt.
Frauen sind heute keine Seltenheit im Bergsport und doch scheint es irgendwie noch immer eine Männerdomäne zu sein. Als du mit dem Klettern begonnen hast, wohl noch viel mehr. Musstest du dich stark durchsetzen?
Ich bin nach Berchtesgaden gezogen, wo das Bergsteigen mit einer langen Tradition verbunden ist. Als ich angefangen habe zu klettern, bin ich zunächst ziemlich ignoriert worden von den starken Kletterern. Als Frau musste man sich durch Schwierigkeitsgrade beweisen. Heute bin ich ein Teil dieser Community, wir
klettern zusammen, feiern gemeinsam und es ist richtig toll. Vor 20 Jahren habe ich teilweise um die Begrüßung am Fels kämpfen müssen.
Hat dich dieser Umgang gehindert oder eher gefordert?
Gehindert hat er mich nicht, denn ich habe es in erster Linie für mich gemacht und einfach beobachtet.
Und wie war das mit den Kletterpartnern?
Ich war ja meist mit meinem Freund unterwegs. Doch bald habe ich gemerkt, dass es mich nicht weiterbringt, da er zu dem Zeitpunkt viel besser war. Und so habe ich angefangen, verstärkt mit Mädels zu klettern, mit denen ich auf gleichem Niveau war oder vielleicht sogar ein wenig stärker. Damit habe ich mehr vorsteigen und die Führung übernehmen müssen und das war gut, denn wenn du immer den Stärkeren vorlässt und selber nur nachsteigst, lernst du wenig.
„So wie man sich im Laufe des Lebens Kletterpartner aussucht, so ist es auch mit Firmen.“
Was würdest du den Kletterinnen ans Herz legen?
Ich wünsche mir, dass Frauen mehr Selbstbewusstsein mitbringen und nicht nur mit ihren Partnern klettern gehen, sondern auch mit anderen Mädels. Mir hat das sehr geholfen.
Du bist nicht nur Profikletterin, sondern auch Mutter von Emanuel, der inzwischen 16 Jahre alt ist. Was hat sich damit für dich geändert?
Ich habe durch Manu gelernt, mich besser einzuteilen. Von dem Zeitpunkt an, als er da war, habe ich viel weniger Zeit gehabt, diese dafür viel effektiver nutzen können. Außerdem versuche ich ihn zu integrieren. In den letzten Jahren sind wir sehr viel gemeinsam gereist. Natürlich habe ich auch ein Riesenglück mit Manus Oma, dort ist er immer gut aufgehoben gewesen. Ohne sie wäre einiges anders gelaufen in meinem Leben. Durch Manu habe ich auch sehr viel mentale Kraft bekommen. Wenn du immer zweifelst, auch an dir selbst, wirst du es zu nichts bringen. Das Wort „aber“ finde ich ganz schrecklich und man sollte es aus dem Sprachsatz streichen.
Ihr klettert heute gemeinsam, Manu hat kürzlich seine erste 7c+ geschafft, wie ist das für dich?
Ja! Das war eine Route in Frankreich, die haben wir beide gemacht. Das war schön. Okay, er macht mir langsam Sorgen. Noch kann ich mit meiner Erfahrung auftrumpfen, vor allem wenn es in die Berge geht oder an eine hohe Wand, doch wenn es ums Sportklettern geht oder ums Bouldern – da ist er jetzt schon besser, aber ich finde das cool.
Du fliegst in wenigen Tagen nach China, welches Ziel habt ihr euch ausgesucht?
Der Berg heißt Kyzyl Asker, liegt an der Grenze zu Kirgisistan und ist knapp 6.000 Meter hoch. Ich war bereits zwei Mal dort. Unser Ziel ist eine ganz tolle Eislinie an einer fast 1.300 Meter hohen Wand, die fast durchgehend aus Eis besteht und richtig steil ist. Bis jetzt hat die Linie 20 Versuche gehabt, von 20 verschiedenen Teams. 2010 waren Thomas Senf und ich schon fast oben. Seit meinem letzten Versuch 2011 sind fünf Jahre vergangen und es ist noch immer keiner Seilschaft gelungen, die Linie durchzusteigen. So hat sich die Idee wieder im Kopf gemeldet. Diesmal bin ich mit Luka Lindič unterwegs und wir versuchen unser Glück.
Vielen Dank für das Gespräch. Wir drücken die Daumen.
Der Vortrag
Am 30. Oktober um 18 Uhr hält Ines Papert im Rahmen der Alpinmesse einen Multivisionsvortrag mit dem Titel "Riders on the Storm".
Die Alpinmesse
29.–30. Oktober
Zum zehnten Mal bietet die Alpinmesse Innsbruck ein umfangreiches Programm mit Workshops und Vorträgen. Die Stargäste sind heuer Steve House und Ines Papert. Mit der Bouldermeisterschaft BlocAlpin ist für Wettkampfstimmung gesorgt und das Freeride Village bietet die perfekte Plattform für alle Freeride-Freaks. Das Gesamtprogramm runden zahlreiche Produktneuheiten ab.
„Ich wünsche mir, dass Frauen mehrSelbstbewusstsein mitbringen und nicht nur mit ihren Partnern klettern gehen.“