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NOVEMBER 2019

Kampfsport

Lange Nacht des Fights

Die Innferno Fighting Championship findet in Tirol bereits zum vierten Mal statt. Dabei handelt es sich um einen Wettbewerb in MMA – einer jungen Kampfsportart mit relativ wenigen Regeln. 6020 hat sich die Fightnight einmal genauer angeschaut.

Fotos: Rene Bakodi, Innferno
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ls wir uns hinsetzen, sagt Thomas noch: „Jetzt zipft’s mich schon an.“ Der letzte Lärm legt sich gerade im Saal, denn Moderator Peter Linka ergreift das Mikro und stimmt das Publikum mit selbstsicherer, tiefer Stimme auf den bevorstehenden Abend ein. „Als Kämpfer fühlt man sich im Publikum eher fehl am Platz“, erklärt Thomas noch, während das langgezogene „Ladys and Gentleman“ durch die ordentlich gefüllte Dogana im Innsbrucker Congress hallt.

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Der vierte Abend der Tiroler MMA-Produktion Innferno steht an diesem Abend, dem 5. Oktober 2019, an. Die junge Kampfsportart erfreut sich weltweit immer größerer Beliebtheit. Die Regeln ziehen Publikum und Kämpfer an. Es ist nämlich sowohl erlaubt, mit Fäusten (wie beim Boxen), Füßen (wie beim Kickboxen), Ellbogen und Knien (wie beim Thaiboxen) sowie mit Hebel- und Würgegriffen zu kämpfen, als auch auf dem Boden liegende Gegner anzugreifen. „Der Kampf ist beendet, wenn einer aufgibt oder der Ringrichter den Fight für beendet erklärt“, sagt Thomas. Sollte es kein k. o. geben, entscheiden die Punktrichter. Ein Unentschieden ist ebenfalls möglich. In das Oktagon, so die Bezeichnung des Kampfrings, trauen sich nur taffe Jungs.

Die ganze Aufmachung hat eher Ballcharakter.

 

Es geht los.

Michael Agerer wirkt ein wenig eingeschüchtert. Sein bosnischer Gegner Timur Omerovic hat bereits zwei Kämpfe in seiner Karriere absolviert. Für ihn aber ist es der Premierenkampf und gleichzeitig der erste Kampf des Abends. Das Publikum steht hinter ihm. „Agi!“ schreit jemand von der Seite. „Los, Agi!“ Der Innsbrucker tänzelt um Timur herum und greift schlussendlich an: Sie verheddern sich. Immer wieder versucht einer den anderen auf den Boden zu hieven und die Kontrolle über ihn zu bekommen. Das dauert eine Weile. Ein Bild, das sich im Laufe des Abends des Öfteren wiederholen wird.

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„Grundlegend gibt es beim MMA drei Positionen“, erklärt Thomas, „im Stand, beim Ringen und am Boden.“ Jeder Kampf beginnt im Stand und entwickelt sich dann in eine bestimmte Richtung. „Für den unkundigen Zuschauer ist der Kampf im Stand am interessantesten, am Boden sicher am langweiligsten“, meint Thomas. Nach drei Runden gewinnt der Bosnier gegen Michael Agerer durch Punkte. Das Publikum ist ruhig.

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Als aber Franziska Blum und Katharina Rychkova beim zweiten Kampf mit voller Wucht aufeinander losgehen, sind von allen Seiten Verwunderungsschreie zu hören. Franziska wird von ihrer Gegnerin an der Nase getroffen. Schnell ist ziemlich viel Blut im Spiel, das Publikum johlt. Nach zwei Minuten und 46 Sekunden gibt Franziska bei einem Würgegriff auf. Ihr Gesicht ist blutüberströmt. Ihre Gegnerin hilft ihr auf. Sie umarmen sich herzlich, voller Respekt – auch ein Bild, das des Öfteren auftreten wird.

Hauptsächlich Männergruppen stehen im Eingangsbereich des Congresses beisammen und unterhalten sich. Hier und da wird ein Selfie gemacht.

Prolos und Profis.

Thomas war als Kind großer Wrestling-fan. So wie viele glaubte auch er, dass die Kämpfe tatsächlich stattfinden, und musste irgendwann schmerzlich erfahren, dass alles inszeniert ist. Als aber Brock Lesnar, ein berühmter Wrestler, zu MMA wechselte, wurde Thomas auf die Kampfsportart aufmerksam. Kurzerhand schrieb er sich im Verein in seiner Heimatstadt ein.

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Anfangs habe er noch geglaubt, dass er es nicht fertigbringen würde, jemand anderen ins Gesicht zu schlagen oder einen am Boden Liegenden weiter anzugreifen. „Aber schon der erste Sparingkampf lässt alle Hemmschwellen wortwörtlich auf Bodenebene sinken“, meint Thomas. Auch wenn das auf Außenstehende brutal wirken mag, habe er dabei weitaus mehr Freunde gefunden als unsympathische Freaks. „Typen, die nur eine große Klappe haben, lernen schnell ihre Lektion und geben relativ bald auf“, sagt Thomas. Denen gegenüber stehe die große Mehrheit, die sich professionell verhält und MMA ernsthaft betreibt. Gewaltbereite seien in der Szene unbeliebt. Schließlich gehe es beim Kampfsport um den Aufbau von Selbstbewusstsein und nicht darum, andere niederzumachen. Außer eben im Ring.

Lange Nacht des Fights

Es ist übrigens verboten, den Gegner aus dem Ring zu werfen, ihn im Oktagon herumzuwirbeln jedoch nicht.

Lange Nacht des Fights

Die Dogana im Innsbrucker Congress füllte sich zur vierten Veranstaltung von Innferno ordentlich, die Stimmung aber war gemäßigt.

Im Publikum.

Schon am Anfang des Abends, als Thomas und ich in der Innsbrucker Messe ankommen, grüßen ihn viele sehr herzlich. Wir müssen bei fast jedem Grüppchen stehen bleiben: Hauptsächlich Männergruppen stehen im Eingangsbereich des Congresses beisammen und unterhalten sich. Hier und da wird ein Selfie gemacht. Das Publikum ist jung, niemand jünger als etwa 20, kaum jemand älter als 40. Vereinzelt stehen auch Kämpfer in voller Montur im Foyer des Congress: kurze Hosen, Mantel, bandagierte Hände und ziemlich durchtrainiert. Die meisten sehen aus wie Nebencharaktere aus Sitcoms aus den 1990er-Jahren. Die wenigen Frauen sind ziemlich aufgebrezelt und halten mit einem der Typen im Kreis Händchen. Es herrscht keinerlei aggressive Stimmung. Ganz im Gegenteil hat die ganze Aufmachung eher Ballcharakter.

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90 Prozent des Publikums machen laut Thomas Freunde und Familie der Kämpfer aus. Die anderen zehn Prozent setzen sich sehr heterogen zusammen. Unter anderem sind es Geschäftsleute, die von der Sportart fasziniert sind und kein Event auslassen. Sie sitzen auf den VIP-Plätzen. Während auf unserer Seite des Oktagons zwei Kameraleute aufgestellt sind, steht auf ihrer Seite keiner.

In den Reihen unterhalten sich die Menschen wie in einem Wiener Kaffeehaus im 19. Jahr­hundert.

Bis zum Ende.

Die Stimmung scheint mittlerweile ein wenig peinlich zu werden. In den Reihen unterhalten sich die Menschen wie in einem Wiener Kaffeehaus im 19. Jahrhundert. Unterbrochen werden die offenbar anregenden Gespräche nur durch die immer wiederkehrenden Anmoderationen von Klinka, die relativ lange Einlaufmusik und die engbekleideten Damen, die die Rundennummern anzeigen. Hier und da hört man dann jemanden pfeifen.

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Beim vorletzten Kampf steigt noch der Innsbrucker Johannes „Johny“ Heigl in den Ring. Seinen Gegner Aleksandar Krpic hat er nach etwa 30 Sekunden im Griff, der Schiri bricht ab, die Menge tobt – ein kurzer Lichtblick. Johny geht durch die Reihen und nimmt die Glückwünsche entgegen. Er scheint fast jeden zu kennen und badet in der Menge. Der Abend neigt sich dem Ende zu.

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Nach insgesamt 14 Kämpfen und sechseinhalb Stunden in der Dogana ist es vorbei. „Puh“, meint Thomas noch, „die Kämpfe waren heute nicht die Höhe.“ Ich schweige zustimmend. Wir verabschieden uns.

Die einen sagen, Mixed martial arts sei äußerst vielseitig, die anderen, äußerst brutal:

Einige Techniken sind im Kampf jeden­falls verboten:

  • Schläge auf Hinterkopf, Nacken, Wirbelsäule sowie auf Augen, Nase, Mund, Finger, Kehlkopf und Genitalbereich des Gegners
  • Angriffe mit Ellbogen gegen den Kopf des Gegners (Angriffe mit dem Knie auf den Kopf sind nur untersagt, wenn der Gegner am Boden liegt ebenso wie Kicks)
  • Kopfstöße generell

 

Die österreichische Amateur-MMA-Federation sieht folgende Einschränkungen vor:

  • Die Kämpfe dauern 3 x 3 oder 2 x 5 Minuten, anstatt 3 x 5 Minuten, wie im Profibereich üblich
  • Ellbogen- und Unterarmschläge sind untersagt
  • Kniestöße gegen den Kopf ebenfalls
  • Ein Fußhebelgriff namens Heel Hook auch