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MAI 2020

Basterds? In Innsbruck?

Vor ziemlich genau 75 Jahren wurde Innsbruck von den Amerikanern im Zweiten Weltkrieg befreit. Die Operation Greenup, die dazu führte, erinnert in einigen Aspekten auffallend an Tarantinos „Basterds“.

Fotos: National Archives and Records Administration, College Park, Audrey Wijnberg, Markus Jenewein, Universal Pictures International

Die Operation Greenup gilt als eine der wichtigsten Aktionen des OSS (Office of Strategic Services), einer Vorgängerorganisation der CIA (Central Intelligence Agency). Ihr Ziel war es, Infrastruktur der Wehrmacht zu zerstören und Informationen über die mögliche Errichtung einer „Alpenfestung“ zu sammeln. Dafür wurden zwei amerikanische Agenten, Fred Mayer und Hans Wijnberg, zusammen mit dem Tiroler Franz Weber mit Fallschirmen über den Stubaier Alpen abgeworfen. Der Oberperfer Weber kannte sich im Gelände aus. Er half, Kontakte zu knüpfen und eine Funkstelle für Hans zu errichten. Deutsch sprachen alle drei, auch die zwei Amerikaner. Beide wurden in Europa geboren. Und waren von den Nazis vertrieben worden.

 

Hinter feindlichen Linien: Fred Mayer wollte Rache für seine Vertreibung üben.

 

Tarantino könnte ihre Geschichte als Grundlage für seine
„Basterds“ gedient haben, meint auch der Historiker Peter Pirker. Einige Parallelen zur Geschichte, die sich vor ziemlich genau
75 Jahren in Innsbruck abgespielt hat, sind nämlich auffällig.

1. That´s a Bingo!

Szene Inglourious Basterds

„You just say bingo“, korrigiert Aldo der Apache den SS-Offizier Landa in einer der letzten Szenen von Inglourious Basterds, als dieser ihm seine Kapitulation anbieten will. Diese soll natürlich an gewisse Bedingungen geknüpft sein, schließlich möchte Landa nicht ins Gefängnis. Aldo der Apache hat sichtlich wenig Lust auf den Deal. Er ist nämlich Jude und weiß, wen er da vor sich hat: Den „Jew-Hunter“ höchstpersönlich.

Was wirklich geschah.

Fred Mayer wird in der Herrengasse 1 in Innsbruck aus dem Gestapo-Gefängnis geführt. Gefesselt. Der amerikanische Agent hatte den Nazis zuletzt ordentlich zugesetzt. Vor zwei Wochen wurde er verhaftet und schwer gefoltert. Er verriet aber niemanden und beharrte lange auf seiner Geschichte, nur ein französischer Arbeiter zu sein. Wohin die Reise jetzt geht, weiß er nicht. Das Haus, vor dem das Auto schlussendlich hält, ist ihm auch unbekannt.
    Den Mann jedoch, der ihn dort empfängt, kennt er. Zwar nicht persönlich, doch ist ihm Gauleiter Franz Hofer mehr als nur ein Begriff. Ihn galt es nämlich mit der riskanten Aktion in die Knie zu zwingen und daran zu hindern, eine Alpenfestung zu errichten. Fred Mayer glaubt nun wohl, dass die Folter unter der Aufsicht des Gauleiters, Reichsstatthalters und überzeugten Nazis Hofer weitergehen würde.

 

Trotz schwerer Folter im Gestapo-Gefängnis in der Herrengasse 1 verriet Fred Mayer keinen seiner Komplizen.

Es kommt doch anders.

Zu seiner Überraschung kommt alles ganz anders: Hofer möchte mit dem Amerikaner lediglich einen Deal aushandeln: Den Amerikanern soll Innsbruck kampflos übergeben werden. Dafür sollen sie ihn, Hofer, vor Verfolgung schonen und bloß als Kriegsgefangenen behandeln.
    Wenige Stunden später nähert sich ein Wagen mit weißer Fahne der 103. Infanteriedivision der US-Army. Fred Mayer, ein OSS-Geheimagent, scheint nicht bloß überlebt, sondern auch dafür gesorgt zu haben, dass Innsbruck kampflos übergeben wird. Damit rächte er sich in bester Weise für seine Vertreibung aus dem Deutschen Reich. Fred Mayer wurde in Freiburg geboren – und er war Jude.

2. Sie sind Italiener

Szene Inglourious Basterds

Bei der Premiere des Films „Stolz der Nation“ erweist sich der SS-Mann Landa als hervorragender Kenner der italienischen Sprache. Sehr zum Leid der Schauspielerin Bridget von Hammersmark, die ihre Freunde in Schale warf und als Italiener vorstellt, damit sie in dieser feierlichen Umgebung nicht als amerikanische Agenten auffallen. Die meisten Nazis bemerkten nicht, dass sich drei US-Soldaten jüdischer Abstammung unter sie gemischt haben. Hans Landa aber scheint Verdacht zu schöpfen.

Glücksspiel.

Nachdem er in Tirol sicher gelandet und in Innsbruck angekommen ist, muss sich Fred Mayer überlegen, wie er an nützliche Informationen kommt. Einfach in ein Hauptquartier zu marschieren stand angesichts der angespannten Lage nicht zur Debatte. Wo kann er die nützlichsten Informationen herbekommen? Und als wer soll er sich ausgeben?

 

Eine neue Identität bekam auch Franz Weber verpasst, nachdem er zu den Amerikanern übergelaufen war. Seine Familie und Freunde halfen den Verschwörern, die Nazis hinters Licht zu führen.

 

Als die Krankenschwester Luise Weber erfährt, dass sich der Freund ihres Bruders Franz unter Nazi-Offiziere mischen will, kommt ihr eine Idee: Sie stiehlt alte Uniformteile aus dem Krankenhaus und näht Fred eine neue daraus. Dann besorgt sie ihm noch eine Krankschreibung: Fred gilt fortan als Offizier auf Kur und wird im Offizierskasino ein gern gesehener Gast. Dort geht er ein und aus, knüpft Kontakte, führt unverfängliche Gespräche und erhält wertvolle Informationen. Einer der Offiziere gibt ihm sogar frische Infos aus dem Führerbunker weiter. Über Tage schöpft niemand Verdacht.

3. Die versteckte Jüdin Shoshanna

Szene Inglourious Basterds

Am Anfang des Films gelingt Shoshanna als einziger aus ihrer Familie die Flucht aus dem Haus des Milchbauern Perrier LaPaditte. Danach spielt sie im Plot eine wichtigere Rolle, als ihr lieb ist. Denn eigentlich wollte sie als Jüdin im besetzten Paris als U-Boot bis zum Ende des Krieges ausharren. Allerdings wird Fredrick Zoller auf die Kinobetreiberin aufmerksam und möchte sie unter allen Umständen beeindrucken. Sie aber will irgendwann nur noch Rache üben und den Nazis einen Strich durch die Rechnung machen.

Betroffen.

Am 26. Jänner 1945 erscheint in den Innsbrucker Nachrichten ein Artikel mit folgendem Inhalt: „Um die Teilnahme der Juden am Krieg sind in der englischen Presse immer wieder Märchen aufgetischt worden“, heißt es dort: „Der Jude ist nicht im Entferntesten geneigt zu kämpfen und überlässt dieses Geschäft gern seinen Kreaturen.“ Hätte der zutiefst antisemitische und menschenverachtende Redakteur gewusst, dass zu diesem Zeitpunkt mit Fred Mayer, Hans Wijnberg und Dyno Löwenstein in Bari drei Juden an einem Tisch sitzen und planen, in Innsbruck einzufallen, hätte er sich den Kommentar wohl gespart.

 

Nach gelungener Befreiung traf sich das Team noch öfter. Zwei der Helferinnen der Agenten Maria Hörtnagl (hinten) und Anni Niederkircher (vorne, wenige Wochen später Ehefrau von Franz Weber).

 

Rache am Naziregime wollen aber nicht nur diese drei aus dem Deutschen Reich vertriebenen Juden üben, sondern auch eine Reihe jüdisch-stämmiger Innsbruckerinnen und Innsbrucker: Fritz Moser schleust Fred, als dieser seiner Rolle als Wehrmachtsoffizier aufgeben muss, ins Geschäft seines Onkels Robert ein. Hier bekommt Fred seine Identität als französischer Fremdarbeiter, auf der er sogar unter Folter besteht. Robert Moser selbst riskiert ebenfalls Einiges. Er war nämlich mit einer „Halbjüdin“ verheiratet. Seine Schwiegermutter Helene Barbolani war wohl die letzte Jüdin Innsbrucks unter dem Naziregime. Nur wenige Tage bevor Mayer, Wijnberg und Weber in den Alpen mit Fallschirmen landen, verstarb sie eines natürlichen
Todes. Versteckt in Seefeld. Robert wurde von der Gestapo ermordet.

In "Codename Brooklyn"

Jüdische Agenten im Feindesland, Die Operation Greenup 1945,

setzt der Historiker Peter Pirker der Aktion ein geschichtswissenschaftliches Denkmal. „Der große Unterschied zum Film von Tarantino ist vor allem, dass die meisten Nazis mit ihren Untaten davongekommen sind“, sagt der Wiener Historiker. Mitte Mai erscheint von Peter Pirker und Matthias Breit ebenfalls im Tyrolia Verlag „Schnappschüsse der Befreiung“ mit zahlreichen Fotografien amerikanischer Soldaten aus dem Mai 1945.