anchmal braucht es erst das Ende, um den Beginn seinem Verdienst entsprechend zu würdigen. Also gelangt Tirols Landeshauptstadt ausgerechnet am 1. April in die Weltpresse, als global die tags zuvor verstorbene Architektin Zaha Hadid gewürdigt wird. Vorzugsweise durch ein Zitat ihres ebenso renommierten Kollegen Rem Koolhaas, der sie als „Planet mit einem eigenen, einzigen Orbit“ sieht. Diese Umlaufbahn posthum in Streit zu stellen geziemt sich nicht. Doch die Bestandsaufnahme ihrer vielleicht provinziellsten Bodenstation gerät zu einer Hommage im Sinne von Hermann Hesses „Stufen“: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“
//Zaha Hadids Sprungschanze und Hungerburgbahn mögen wie Dominique Perraults Rathauspassage und David Chipperfields Kaufhaus Tyrol letztlich nur Sommersprossen im Gesicht einer Kommune sein. Doch sie prägen Innsbruck heute mindestens so sehr, wie es Goldenes Dachl und Annasäule, Schwarzmanderkirche und Triumphpforte vermögen. Dass allein die Nennung der spektakulärsten Neubauten in einem Atemzug mit dem bewährtesten Altbestand nicht mehr als Affront empfunden wird, verweist auf ein außergewöhnliches Sein im Hier und Jetzt – samt Vorwärtsorientierung.
Wenn du einem Nicht-Einheimischen erzählst, dass du im Winter nach Feierabend die Ski anschnallst, um nachts mit Stirnlampe herunterzufahren in die Stadt, will er es erst nicht glauben.
Champions League der Mittelstädte.
So sehr wir einst die Marketing-Übertreibung von der „Weltstadt Innsbruck“ belächelt haben, so stark muss sie als Messlatte die Zukunftsdiskussion prägen. Denn der Größenwahn bewährt sich prächtig. Nicht nur „Ein Prophet gilt nirgends weniger denn im Vaterland und daheim bei den Seinen“ (Markus 6:4). Die Innsbrucker mögen ihrer Heimatstadt noch so verbunden sein, mehr noch punktet diese Brustaorta zum Herz der Alpen bei Besuchern und Mitbewerbern. Der Blick von außen verklärt nicht nur, er erklärt das Flair zwischen Hafelekar und Patscherkofel, Hungerburg und Lanser See, Kranebitten und O-Dorf. Sich-Messen mit den Besten: Grazer wie Linzer, Klagenfurter und sogar die zwischen Mozart und Mateschitz ihr Selbstbewusstsein pflegenden Salzburger gestehen Innsbruck diesen Stammplatz in der Champions League der Mittelstädte zu – und Wien den Tirolern ohnehin, denn es selbst spielt in einer anderen Division. Doch so wie sich bei den Balltretern vom totalen Fußball der Ajax Amsterdam zum Tiki-Taka des FC Barcelona die Anforderungen für den Klassenerhalt ständig ändern, so ist der dauernde Wandel die einzige Konstante im Wettbewerb des Urbanen.
Wenn die großen Kommunen zugleich Motor und Spiegelbild des gesellschaftlichen Fortschritts sind, dann geht es hier weder in erster Linie um das Projekt „Mountainbike City“ noch vorrangig um das wirtschaftsgetriebene „Erfolgreich in den Alpen“, wie Birgit Pikkemaat und Harald Gohm ihren jüngsten Denkanstoß in Buchform genannt haben. Auf dem Programm steht mehr denn je ein Sowohl-als-Auch. Was Innsbruck seit jeher auszeichnet, das „Und“ bzw. „Aber“, ist heute nicht mehr Plan B, sondern Mainstream. Work-Life-Balance, der anhaltende Einklang von Berufs- und Privatleben gilt als Megatrend schlechthin. Keine Marktforschung, keine Meinungsumfrage, kein globaler Survey, die nicht diese zeitgeistige Inkarnation von Yin und Yang als Endstation Sehnsucht der Lebensziele herauskristallisieren. Je europäischer, umso mehr. Je asiatischer, desto weniger.
Gelobtes Land der Generation Z.
Aber mehr noch trennt das Alter die Interpretation von „Arbeit macht das Leben süß, Faulheit stärkt die Glieder.“ Wo Baby Boomer (Geburtsjahrgänge bis 1965) unverdrossen dem Schaffen und Raffen als Aufstiegshilfe ihren Freizeit-Tribut zollen, sind die Generationen X (bis 1980), mehr noch Y (bis 1998) und am meisten Z nicht nur Erben, sondern wollen zwar davon zehren, aber von sich selbst weniger verbrauchen. So wird das Mittelmaß neu definiert. Nicht als Elend der Durchschnittlichkeit, sondern als Lebensglück infolge Interessenaugleichs. Nirgendwo funktioniert das besser als hier. Denn zur Grundverfassung aus Urbanität und Natur kommt längst: Gelegenheit macht Liebe.
//Wenn du einem Nicht-Einheimischen erzählt, dass du im Winter nach Feierabend die Ski anschnallst, um nachts mit Stirnlampe herunterzufahren in die Stadt, will er es erst nicht glauben. Doch wenn du ihm Bilder zeigst, Videos vorführst, auf Facebook, YouTube und Instagram teilst, was diese Stadt so geil macht, dann versteht er es, dann leuchten seine Augen, dann sehnt er sich nach Work-Life-Balance. Mehr noch als eine Weltstadt
vermag Innsbruck ein globales Zentrum dieser Work-Life-Balance sein.
//Doch die Alpenhauptstadt kann nur dann Avantgarde im ursprünglichen Wortsinn des Voranschreitens sein, wenn auch das Land sie lässt. Das Spannungsfeld zwischen Tirol und Innsbruck ist bloß so lange fruchtbar, wie das Urbane nicht gefesselt wird von der Beharrlichkeit des Landläufigen. Der Tourismus, nicht erst seit dem Wellness-Boom der Vorbote des allumfassenden Trends zur Work-Life-Balance, ist andernorts stärker: Doch Ischgl und Sölden sind zwar Vorreiter im alpinen Fremdenverkehr, aber damit bloß Nachhechler großstädtischer Moden – so wie Kitzbühel und Arlberg sich als Winterfrische behaupten. Auch die Industrie ist keine Innsbrucker Domäne, eher gehorcht sie Wattener wie Außerferner und Kundler wie Telfer Ansprüchen. Doch sie mag noch so sehr auf die vierte industrielle Revolution alias 4.0 pochen – gesellschaftliche Paradigmenwechsel schafft sie hierzulande nicht mehr. Dazu taugt eher und gut die einzige wirkliche Stadt im Lande, die eher zufällig zum Musterbeispiel jener Work-Life-Balance geworden ist, die sich nun mehr als alles andere für Zukunftsvision und -strategie eignet. Olympia war gestern. Leben im Einklang ist morgen.