enn der Falter pünktlich zum Herbstbeginn „Das Ende des Fernsehens“ titelt, ist ihm auch ein Missverständnis dieses Abgesangs sicher. Denn der Tod ist eine Frage der Definition – des noch Lebenden. TV im herkömmlichen Sinn liegt längst am Sterbebett. Die einstigen Lagerfeuer der Nation gibt es nicht mehr. So wie die klassischen Familien immer weniger werden, so wie das gemeinsame Frühstück, Mittag- und Abendessen ständig seltener stattfindet, so ist auch die Zeit im Bild („Pssst, der Papa will fernsehen!“) kein häuslicher Generalversammlungsort der Generationen mehr. Das Durchschnittsalter des Publikums von 60plus spricht für sich – und gegen ein noch langes Leben der traditionellen Hauptnachrichten des ORF. Doch obgleich der Tod des einstigen Patschenkinos so gewiss wirkt wie das Ende des Röhrenbildschirms, ist die ZIB 1 noch die tagtäglich meistgesehene Fernsehsendung in Österreich – lediglich übertrumpft von der gemeinsamen Quotenkraft aller neun Bundesland heute-Ausgaben.
Im Winter ohnehin ein Millionen-Angebot, kratzt sie auch im April noch an der siebenstelligen Live-Zuschauermarke. Erst im Sommer ist sie um 19.30 Uhr der Konkurrenz der Gastgärten nicht mehr gewachsen – wird jedoch umso mehr per TVthek konsumiert.
Kronen Zeitung und ServusTV.
Die jüngere Schwester der Info-Seniorin, die mittlerweile auch schon 40-jährige ZIB 2, erreicht um 22 Uhr zwangsläufig keine so hohen Werte und liegt dennoch im Altersschnitt des Publikums auch schon bei 60. Doch dieser Trend zum wirklichen Pensionsalter ficht die Macher so lange nicht an, wie ihre Zuschauerzahl noch steigt. Das Jahresmittel war in der vergangenen Dekade schon auf 470.000 gesunken, nun liegt es wieder klar über einer halben Million. Das reicht zwar nicht zum Lagerfeuer der Nation, widerspricht aber jeglichem Ende der klassischen TV-Information. Ungeachtet der hauseigenen TVthek und On-Demand-Angeboten wie Netflix halten die Nachrichtentanker den Kurs.
Sie stützen sich zwar nur noch auf ein Drittel gemeinsamen Fernsehmarktanteils von ORF eins und ORF 2 (vor zehn Jahren war es noch die Hälfte), doch gerade die zweifellos öffentlich-rechtlichen Angebote geraten immer mehr zu Zugpferden des Gesamtprogramms. Paradoxerweise unterstützt ausgerechnet durch die flotten neuen Beiboote aus dem Internet. Von Facebook bis Twitter wirkt die Social-Media-Präsenz der TV-Promis auf Notebooks, Tablets und Smartphones komplementär für die zusehends überalterte traditionelle Öffi-Gefolgschaft vor dem großen Flatscreen im Wohnzimmer.
//Exakt dort, in der angeblichen medialen Intensivstation, hält nun ein ungleiches Paar Einzug. Servus Krone, ein Joint-Venture des reichsten aller Österreicher und des größten aller Kleinstformate. Dietrich Mateschitz verschiebt den Start des globalen Red Bull TV und positioniert sein kleines, feines ServusTV (1,5 % Marktanteil) direkt gegen das Aushängeschild des ORF.
TV im herkömmlichen Sinn liegt längst am Sterbebett.
Ausgerechnet am Vorabend um 18.30 Uhr fordert der Marketing-Guru die föderale Informations- und Unterhaltungskompetenz des Öffis mit Hilfe der regionalen Redaktionen der Kronen Zeitung heraus, die mit durchschnittlich 2,3 Millionen Lesern der einzige wirkliche tägliche bundesweite Quoten-Gegenspieler des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist. Die Partner haben im heimatlichen Traditionsbewusstsein große Übereinstimmungen ihres jeweiligen Publikums entdeckt. Servus merzt damit seine mangelnde Tiefenverwurzelung in den Bundesländern aus, die Krone behebt derart ihr Bewegtbilderproblem.
Tiroler Tageszeitung, TirolTV und tt.com.
Denn so todkrank das Patschenkino auch sein mag, so jugendfrisch lernen immer noch mehr Bilder das Laufen. Das Ende des Fernsehens ist ein großer Irrtum, wenn es die Nutzung der Mobilität auf dem Bildschirm meinen sollte. Nicht von ungefähr verhandeln die österreichischen Verleger schon lange mit dem ORF über die Ausstrahlung von dessen Beiträgen auf den diversen Zeitung-Websites. Die Tiroler Tageszeitung übernimmt unterdessen bereits mit beachtlichem Publikumserfolg TirolTV-Chronik-Beiträge auf tt.com.
Das Video und der Clip boomen wie die SMS und der Tweet. Und so wie das Posting zur individuell ausgeuferten Extended Version der Kurzmitteilung geraten kann, wird das Milliardenheer neuer Medienmacher auch dem Selfie Beine machen. Was heute noch aus ungewöhnlicher Standbildperspektive reizt, muss morgen schon ein paar Sekunden laufen, um uns zu bewegen. Der Stick macht’s möglich. Nicht jede asiatische Massen-Manie ist bloß eine Touri-Torheit.
Nicht jede asiatische Massen-Manie ist bloß eine Touri-Torheit.
Kaum ein ernstzunehmender Produzent – gleichgültig ob kaufmännisch, technisch oder inhaltlich – traditioneller Medien glaubt heute noch daran, dass sich sein Ding auch weiterhin nur als Text, bloß als Ton und lediglich als Fernsehen vermitteln lässt. Multimedia vom Embedded Video in online-gerechten Texten bis zum Second Screen für herkömmliche TV-Beiträge ist die Zukunftsmusik für Presse, Funk und Fernsehen. In der professionellen Bewältigung dieser Tele-Vision liegt das Content-Überlebenselixier dieser Unternehmen, die vor allem den Unterschied zu all den Amateurprodukten deutlicher machen müssen, die von YouTube bis Snapchat im Sekundenbruchteiltakt geteilt werden.
Jeder Empfänger ein Sender.
Die technische Fähigkeit der einstigen Empfänger ist heute auf Augenhöhe mit jener der früheren Sender. Neben der Bereitschaft zu dauernder Kommunikation und der Fähigkeit zu permanenter Interaktion muss also mehr denn je die inhaltliche Kompetenz den Ausschlag geben, warum ein professionelles journalistisches Angebot besser ist als die Weblog-Einträge von Amateuren. Für beide Gruppen aber gilt, was einst zumindest bei den Redakteuren geradezu verpönt war – die Selbst-Zurschaustellung. Ohne Exhibitionismus funktioniert kein Wettbewerb, dessen Teilnehmer sich in aberwitziger Geschwindigkeit vervielfachen. „The Media ist the Message“ (Marshall McLuhan) gilt mehr denn je in dieser „Brave New World“ (Aldous Huxley), doch die Ego-Botschafter überstrahlen zunehmend ihr Produkt, denn jede und jeder giert nach seinen „15 Minutes of Fame“ (Andy Warhol).
Wenn aber alle zu Medienmachern geraten, werden auch viele Institutionen und Organisationen selbst zu Medienunternehmen, die sich bisher nur solcher bedient haben. Um dieser Zwickmühle zu entgehen, benötigen die über Jahrzehnte gewachsenen Informations- und Unterhaltungsanbieter mehr denn je Alleinstellungsmerkmal, Unverwechselbarkeit, Glaubwürdigkeit und vor allem eine starke Marke. Das klingt nach Qualitätsoffensive, benötigt aber wie das angebliche Ende des Fernsehens vorerst eine Definition – und zwar von Qualität. Der öffentliche Diskurs darüber entscheidet über die künftige Güte unserer Information und somit auch der Demokratie.