KLEIN, ABER HART IM NEHMEN.
Theresa beim Sabaton-Konzert
in Metalkonzert – in meiner Vorstellung heißt das: laute, aggressive Musik, zu der die Meute vor der Bühne tobt und sich umherstößt. Natürlich begleitet von Headbangen, bis das lange Haar gleichmäßig auf die Umstehenden verteilt ist. Es ist Zeit herauszufinden, wie es in dieser mir fremden Welt tatsächlich zugeht. Ich wage mich auf ein Metalkonzert in der Music Hall.
Das Publikum.
Es beginnt mit einer Abkühlung. Feiner Nieselregen geht über der Warteschlange nieder, die sich im Flutlicht vor dem unscheinbaren Eingang gebildet hat. Entweder wärmt die Vorfreude einige von innen heraus oder es sind in ihre schwarzen T-Shirts Heizdrähte eingewoben. Ich dagegen fröstle sogar unter meiner dicken Jacke, während ich mich umschaue.
Neben ein paar besonders ernsten Exemplaren in Camouflage-Hosen, Springerstiefeln und Shirt-Aufdrucken wie „Metal is Religion“ stehen sich auch gemäßigtere Fans die Beine in den Bauch. Sie sind meist etwas älter als ihre auffälligen Kollegen, auch überraschend viele Frauen warten auf den Einlass. Ich muss schmunzeln – hier haben ausnahmsweise die Jungs die längeren Haare. Entsprechend neugierig werde ich gemustert. Meine Kombination aus knallpinkem Undercut und flatternden Goahosen sieht man hier auch nicht alle Tage. Übertrumpft werde ich nur noch von einem jungen Mann, der sich scheppernd und klirrend fortbewegt. Er hat Patronengürtel um Schultern und Hüfte geschlungen und um den großen Stahlhelm, der auf seinem Kopf wackelt, werde ich ihn später noch beneiden.
Wehret dem Tinitus.
In der Halle schlängeln wir uns vorbei an Bar und Verkaufsständen, bis wir knapp drei Meter vor der Bühne stehen. Kaum betritt die erste Band, Bloodbound, die Bühne, werden sie mit dem klassischen Handzeichen, den Teufelshörnern, begrüßt. Mich erinnern sie ein wenig an die Häschenfigur im Schattentheater, aber diesen Gedanken behalte ich – umringt von Fans der Szene – lieber für mich. Die zweite Simultanbewegung der Meute überraschte mich: Mit geübten Handgriffen präparieren sie ihre Ohren gegen die extreme Beschallung, die gleich starten soll. Die Vernunft siegt am Ende also doch. Der Frontmann mit den kleinen Silberhörnern auf der Stirn bemüht sich, die Leute anzuheizen. Aber selbst ich merke, dass diese eher auf die nachfolgenden Acts scharf sind. Der dröhnende Bass lässt meine Lungen vibrieren, auch, als ich mich vor Lachen wegducken muss. Die Stimme des Sängers ertönte kurz trotz geschlossenen Mundes. Kombiniere, kombiniere ...
Um den großen Stahlhelm, der auf seinem Kopf wackelt, werde ich ihn später noch beneiden.
Pfeif auf Ernst.
Während Bloodbound ihren Auftritt recht seriös über die Bühne gebracht haben, kommt die nächste Band mit einer gehörigen Portion Selbstironie daher. Auf ihrem riesigen Banner steht ihr Name, Alestorm, eingerahmt von zwei in Entenköpfen endenden geschälten Bananen. Als der Leadsänger im rot-schwarzen Rock herausstürmt –
ein Baseballcap auf dem Kopf und die Kitara im Anschlag –, johlt die Menge. Für mich wird in diesem Moment klar: Auch Metalfans wollen ihren Spaß haben. Der Mann im Rock schwingt munter das Bein, jede Andeutung von Klatschen oder Boxbewegungen nimmt das Publikum begeistert auf. So sieht also überdrehter Piratenmetal aus.
Nichts für Zimperliche.
Gerade, als ich mich endgültig dem fröhlichen Durchdrehen anschließe, trifft mich ein kräftiger Stoß in den Rücken. Klarer Fall: Hinter mir hat das Moshing begonnen.
Wie intensiv es dabei zugeht, begreife ich spätestens, nachdem ich zum dritten Mal zur Seite segle. Zimperlich sollte man auf einem Metalkonzert defintiv nicht sein – besonders, wenn man einen Kopf kleiner ist als der Rest. Auch das rhythmische Springen im Pulk hat seine Tücken, unzureichende Höhe oder Taktabweichungen bescheren einem schnell nähere Bekanntschaft mit den Ellenbogen der Nachbarn. Nach dem ersten Schock hat dieses Chaos durchaus etwas für sich – zum Stressabbau kann man es sicher weiterempfehlen.
//Dann zischt die Ferse eines verunglückten Crowdsurfers an meiner Nase vorbei. Aber die Meute ist verlässlich: In Sekundenschnelle hebt sie ihn hoch und wirft ihn direkt vor der Band ab. Die lässt gerade die letzten Töne verklingen und aalt sich in der Begeisterung des Publikums. Zum Schluss werfen sie ihre Picks in die Menge, die ihnen wie irre nachspringt. Auch eine fabelhafte Gelegenheit, erschlagen zu werden.
Widerstand ist zwecklos.
Endlich betritt der Hauptact des Abends die Bühne, die sich inzwischen in einen riesigen Panzer verwandelt hatte. Die Rede ist von der Band Sabaton, bekannt für martialischen Metal in Anlehnung an historische Schlachten. Angesichts meiner starken Skepsis diesem Genre gegenüber ist es von Vorteil, dass ich die Texte kaum verstehe. So kann ich mich auf die größte Überraschung des Konzertes konzentrieren: Den ausgeprägten Dialog zwischen der Band und ihrem Publikum. Wir werden nicht nur von oben zum Mitmachen animiert, ich habe das Gefühl, dass wir den Verlauf des Auftrittes mitbestimmen. Immer wieder skandieren wir im Chor „Noch ein Bier“ (Wieso? Ich weiß es selbst nicht), was sich zu einem ausgewachsenen Running Gag entwickelt. Alle paar Minuten muss sich die Band eine neue Antwort darauf einfallen lassen. Sie reißen untereinander Witze und ich werde das Gefühl nicht los, dass Sabaton selbst ihren Spaß haben. Zum Ende hin erklärt der Frontmann, dass er mit einer solchen Stimmung und einem so motivierten Publikum an einem „fucking monday“ nicht gerechnet habe. Mein Fazit: Ich kann ihm nur zustimmen.
Immer wieder skandierten wir im Chor: „Noch ein Bier.“ Wieso? Ich weiß es selbst nicht.