Indianer
Manfred Kienpointner gilt an der Uni als sehr gesprächiger Sprachwissenschaftler mit breitem Wissen. Ein sympathischer Professor, der für seine Arbeit brennt – und mit ihr auch ein bisschen die Welt verbessern will. Ein besonderes Anliegen sind ihm beispielsweise Indianersprachen.
Gruß der Navaho, des zweitgrößten Indianervolks der USA
Woher kommt Ihre Faszination für Indianersprachen?
Manfred Kienpointner: Das ist etwas Uraltes – ich zählte zu den vielen Kindern meiner Generation, die von Karl May fasziniert waren. In der Jugend begann ich, über große Persönlichkeiten der Indianer zu lesen.
Welchen Zugang haben Sie als Linguist zu Indianersprachen?
Vor einigen Jahren begann ich gemeinsam mit einem Kollegen Vorlesungen über die Indianersprachen Nordamerikas zu halten, obwohl es im Lehrplan nicht als Pflichtfach vorgesehen war. Ich setzte mich unter ande-rem mit der Sprache Lakota der Sioux (ein nordamerikanisches Indianervolk, Anm.) auseinander.
Ich interessierte mich vor allem für die Struktur. Ich spreche diese Sprachen nicht. Schließlich wollte ich angesichts des Bedrohtheitgrades etwas unternehmen. Es entstand die Idee, die Indianer in den Reservationen zu besuchen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen und ihre aktuelle Sprachsituation mit DVDs zu dokumentieren. Bei Vorträgen und Lehrveran-staltungen verwende ich das Filmmaterial, um auf die Bedrohtheit vieler indigenen Völker und ihrer Sprache aufmerksam zu machen. Denn durch die sogenannten Killerlanguages, wie Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Russisch, Arabisch, Chinesisch, werden sie verdrängt.
Warum ist es wichtig, Sprachen, die nur wenige verstehen, zu erhalten?
Wenn man als Wissenschaftler zuschaut, wie einem das Forschungsobjekt vor den Augen wegstirbt – wie die Arten in der Biologie –, das tut einem weh. Uns faszinieren alle sprachlichen Strukturen, und dass die Vielfalt der Sprachen im 21. Jahrhundert schlimmstenfalls um 90 Prozent dezimiert wird, ist eine Katastrophe. Es hat aber auch politische Gründe und hängt mit meinem Weltbild zusammen.
Inwiefern?
Als Wissenschaftler vertrete ich die Theorie, dass die Sprache der Kern der menschlichen Kreativität ist. Mit jeder Sprache, die verschwindet, verschwindet eine Kultur mit einer Mythologie, einer Religion, Wissen über die Natur und Kunst. Deshalb trete ich für das Recht von Minderheiten ein, weiterhin ihre Sprache verwenden zu dürfen. Von den 7.100 Sprachen auf dieser Erde sind zirka zwei Drittel nicht oder nur wenig dokumentiert.
Elben und Klingonen
Einen regelrechten Hype gibt es um sogenannte Kunstsprachen, die für die Verfilmung von Science-Fiction- und Fantasy-Romanen geschaffen oder weiterentwickelt werden. Eine große Fangemeinschaft haben zum Beispiel Quenya und Sindarin, die Elbensprachen aus „Herr der Ringe“ – es gibt Online-Sprachkurse, Wörterbücher, Erklärvideos zur korrekten Aussprache und jede Menge Fanforen. Am bekanntesten ist Klingonisch aus dem Star-Trek-Universum. Meistens werden Linguisten engagiert, um für die Charaktere eine eigene Ausdrucksweise zu erschaffen. Dafür greifen sie gerne auf natürliche Sprachen zurück – auch von Indianern, erklärt Kienpointner.
heißt wörtlich „gut getroffen“ und bedeutet „sei gegrüßt“ in Sindarin, der Sprache der Elben in „Herr der Ringe“.
Was braucht es, damit eine Kunstsprache funktioniert?
Manfred Kienpointner: Der Fantasie sind eigentlich keine Grenzen gesetzt. Aber die meisten Linguisten bauen einen Wortschatz auf und eine Grammatik dazu. Sie orientieren sich dafür an irdischen Sprachen. Oft machen sie sich den Spaß, sehr seltene indigene Sprachen als Vorbild zu nehmen. So hat zum Beispiel Na’vi in „Avatar“, die der Linguist Paul Frommer erfunden hat, eine Syntaxstruktur, die bei den Nez Percé in Nordamerika oder den Ainu in Japan vorkommt. Haben die Linguisten keine Vorgaben, orientieren Sie sich gerne an ihren Lieblingssprachen. Tolkien, der selbst Linguist war, liebte Finnisch und Walisisch, was in Quenya bzw. Sindarin hörbar ist.
Wie erleben Sie es, wenn Sie im Kino die Charaktere zum ersten Mal sprechen hören?
Ich interessiere mich für den Klang der Sprache, dazu hat man den besten Zugang, auch wenn man nichts versteht. Ich würde sagen, dass Tolkien mit Sindarin etwas gelungen ist. Wenn man den Klang betrachtet, hat der Autor sehr überzeugende Eigenschaften von Sprachlauten hergenommen, die allgemein als schön empfunden werden.
Was finden wir schön?
Auch wenn sich das nicht ganz verallgemeinern lässt, ist es eine vokalreiche Sprache mit einer hohen Frequenz von „R“ und „L“.
Könnten Sie sich vorstellen, selbst eine Sprache zu erfinden?
onderbarerweise hatte ich nie den Impuls, selbst eine Sprache zu kreieren. Jene Linguisten, die heute für Hollywood Sprachen schaffen, geben an, dies bereits in jungen Jahren gemacht zu haben. Diesen Wunsch hatte ich nie.
„Ich interessiere mich für den Klang der Sprache, dazu hat man den besten Zugang, auch wenn man nichts versteht.“
Außerirdische
Manfred Kienpointner macht sich auch Gedanken dazu, wie Lebewesen ferner Planeten miteinander kommunizieren. Das beschäftigt jeden Linguisten irgendwann, so Kienpointner. Denn dass es außer uns Erdbewohnern noch andere Geschöpfe im Universum gibt, steht für den Wissenschaftler außer Frage. Über die Verständigung dieser Wesen draußen im All hat sich Kienpointner auf Einladung eines Kollegen schon vor vielen Jahren für einen Vortrag Gedanken gemacht, und diese in späteren Vorträgen wieder aufgegriffen.
„Es wäre das Abenteuer meines Lebens, in der Galaxis Feldforschung zu betreiben.“
Wie lautete Ihr Fazit?
Manfred Kienpointner: Ich glaube, dass die extraterrestrische Kommunikation einem Ausmaß von Andersartigkeit entspricht, die wir uns beim besten Willen nicht vorstellen können. Die ungeheure Vielfalt der Sprachen auf unserer Erde ist schon imposant, aber ich denke, dass das noch gar nichts ist im Verhältnis dazu, was es noch geben kann. Mein Fazit lautet, dass man nichts Sicheres dazu sagen, sondern nur spekulieren kann. Was aber doch möglich ist, und das macht die Menschheit seit einigen Jahrzehnten, ist, Botschaften ins Weltall zu schicken.
Wie schauen solche Nachrichten an Außerirdische aus?
Auf den ersten Sonden, die man in den Weltraum geschickt hat, waren eine weiße Frau und ein weißer Mann nackt abgebildet, daneben chemische Formeln. Die Sonden der darauffolgenden Generation waren da schon weniger ethnozentrisch.
Sie enthielten über 50 verschiedene Sprachen, vielfältige Musik, die man mit der entsprechenden Technologie abspielen könnte, und verschiedene Ethnien. Es wurde auch der Versuch gestartet, eine auf mathematischer Grundlage basierte Sprache zu entwickeln, die sogenannte Lingua cosmica, die angeblich von jedem intelligenten Wesen verstanden wird. Bisher blieben die Versuche ohne Erfolg.
Wäre die Sprache ferner Planeten ein interessantes Forschungsfeld für Sie?
Es wäre das Abenteuer meines Lebens, in der Galaxis Feldforschung zu betreiben (lacht). Aber etwas weniger utopisch gesehen, würde es mich durchaus interessieren, Sprachen entlegener Regionen zu beschreiben. Sie liegen allerdings im Eis, in der Wüste, Einöde oder den Tropen – da habe ich gesundheitliche Bedenken. Hätte ich aber noch die Power, würde ich, bevor ich mich hochbeamen lassen würde, nach Amazonien gehen. Dort gibt es spannende Sprachen.
Zur Person
Universitätsprofessor Dr. Manfred Kienpointner aus Hall lehrt und forscht seit 1996 am Bereich Sprachwissenschaft des Instituts für Sprachen und Literaturen an der Universität Innsbruck. Seine Hauptforschungsgebiete sind Rhetorik und Argumentation, kontrastive Grammatik und Höflichkeit und Unhöflichkeit in der Kommunikation. Kienpointner spricht, neben Englisch, fließend Italienisch, Französisch, Spanisch, Holländisch und Türkisch.
„Die ungeheure Vielfalt der Sprachen auf unserer Erde ist schon imposant, aber ich denke, dass das noch gar nichts ist im Verhältnis dazu, was es noch geben kann.“