s gibt Sekunden, die verändern das ganze Leben. Und es gibt Tage, von denen weiß man später jedes Detail. Der 21. Juli 2015 war ein wolkenloser Sommertag, wie aus dem Bilderbuch.
//Im Radio heißt es, es ist der heißeste Tag des Sommers in Südtirol. Max will ins Schwimmbad, weil er dort eine Trainingsstunde abhalten muss. Gut gelaunt fährt er mit seiner Honda vom Elternhaus in St. Lorenzen los. In der Nähe einer Tankstelle übersieht er ein Auto, das abbiegen will. Max stürzt und schlittert durch eine Leitplanke. Er sieht neben sich sein abgetrenntes Bein liegen und kann nicht glauben, was gerade passiert ist.
Zuerst der Schock.
„Ich war bei vollem Bewusstsein und habe sofort gedacht, dass mein Unterschenkel hoffentlich wieder angenäht werden kann“, so Max. Die erste Helferin am Unfallort läuft weinend wieder weg. Wenige Sekunden später kommt ein Kunde der nahegelegenen Tankstelle zum Unfallort. „Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht verbluten will, er soll mir doch bitte den Fuß abbinden.
Sein schnelles und richtiges Handeln hat mir vermutlich das Leben gerettet, ich werde ihm mein Leben lang dankbar sein.“ Die Rettungskette funktioniert anschließend perfekt, schon wenige Minuten nach seinem Unfall wird Max mit dem Rettungshubschrauber in die Klinik nach Innsbruck geflogen. Die Ärzte erklären ihm, dass es theoretisch zwar möglich wäre, seinen Unterschenkel wieder anzunähen, er aber sehr wahrscheinlich sein ganzes Leben lang Probleme damit haben würde. „Als die Ärzte von einer Prothese sprachen, hatte ich keine Ahnung, was sie damit meinten. Ich kannte niemanden, der so etwas hatte.“
Kampfgeist.
„Die ersten Tage kannst du das alles noch gar nicht richtig realisieren. Dennoch habe ich sofort überlegt, was das jetzt bedeutet. Ich habe mir überlegt, was ich in Zukunft noch machen kann, und nicht damit gehadert, was jetzt nicht mehr möglich ist.“ Zum Kampfgeist kommt Glück: Ein Krankenpfleger gibt ihm die Handynummer eines Freundes, der bereits seit fast 20 Jahren eine Unterschenkelprothese trägt.
Die beiden tauschen sich sofort aus, Max stellt ihm viele Fragen: Zum Beispiel, ob er wieder Autofahren kann. Auch heute noch hat er mit dem ehemaligen Paralympics-Sportler aus Lienz Kontakt. Es ist ein kleines Wunder, dass Max bei dem Unfall keinerlei Verletzungen am Oberkörper erlitten hat. „Meine Muskeln waren vermutlich wie ein Panzer.“
//Bei seinem rechten Unterschenkel muss Max in den Wochen nach seinem Unfall fünf Operationen durchstehen, in ein tiefes Loch fällt er dennoch nicht. „Ich habe mich einfach auf das Positive konzentriert. Es ist so ein Glück, dass ich den Unfall überlebt habe. Ich hätte mich geschämt, wenn ich aufgegeben hätte.“ Wenige Tage nach Max’ Unfall ereignet sich der Trainingsunfall von Kira Grünberg. Max kennt die Stabhochspringerin vom Sehen auf der Uni. Die beiden befinden sich zur gleichen Zeit in der Reha-Klinik in Bad Häring. Zu einem Kennenlernen kommt es allerdings nicht, lediglich mit Kiras Vater wechselt er ein paar Worte.
„Als die Ärzte von einer Prothese sprachen, hatte ich keine Ahnung, was sie damit meinten.“
Max Huber
Körperliche und mentale Stärke.
Max berichtet bereits kurz nach dem Unfall auf Facebook von seinen Genesungsfortschritten und beeindruckt mit seinen positiven Zeilen. Wenige Wochen danach postet er auf YouTube Videos von sich beim Calisthenics-Training in seinem zum Fitnessstudio umfunktionierten Keller. „Ich kann ja nicht nur auf der faulen Haut liegen.“ An den Wänden stehen Sprüche wie „At the end of pain is success“, „Body under construction“ oder „Beast mode on“. Noch nie hatten diese Sprüche für Max so viel bedeutet wie in dieser Situation.
//Schnell werden Südtiroler Medien auf ihn aufmerksam und berichten über seinen Kampfgeist. Im Dezember bekommt Max seine Prothese und genau ein halbes Jahr nach seinem Unfall kann er die Reha verlassen. Im Feber 2016 nimmt er in Innsbruck wieder sein Sportstudium auf. Ein großes Thema ist Max’ Prothese auf der USI nicht. Bei praktischen Fächern informiert er im Vorfeld die verantwortliche Lehrperson und erklärt, dass er so gut wie möglich an allem teilnehmen kann. „Einige Studenten wussten von meinem Unfall, einige aber auch nicht und die sind beim Umziehen in der Garderobe schon sehr erschrocken, als sie meine Prothese gesehen haben.“
Gemeinsam mit einem Südtiroler Prothesenbauer entwickelt Max eine neuartige Flossenprothese und kann so sogar am Schwimmunterricht teilnehmen. Auch Klettern an der Kletterwand ist für ihn kein Problem. Seine größte Leidenschaft liegt aber im täglichen Calisthenics-Training, bei dem verschiedene Ganzkörper-Spannungsübungen und die Beherrschung des eigenen Körpers im Mittelpunkt stehen.
Zukunftspläne.
Der Sport und die dadurch erworbene mentale Stärke haben Max gut durch den Genesungsprozess getragen. Vor kurzem hat er seine Masterarbeit zum Thema Prothesen im Sport begonnen. Außerdem möchte Max demnächst in Bruneck eine Trainingshalle eröffnen und dort als Trainer funktionelles Fitnesstraining anbieten.
Der Unfall ist an niemandem in Max’ Umfeld spurlos vorübergegangen. Sein Bruder hat sich das Unfalldatum auf den rechten Unterschenkel tätowieren lassen.
„Der 21. Juli ist mein zweiter Geburtstag. Ich habe die Chance bekommen weiterzuleben, das ist nicht selbstverständlich, und daher werde ich diese Chance so gut wie möglich nützen“, sagt Max und strahlt über das ganze Gesicht.
„Es ist so ein Glück, dass ich den Unfall überlebt habe.
Ich hätte mich geschämt, wenn ich aufgegeben hätte.“
Max Huber