Wir empfehlen
DEZEMBER 2015

Die Herberge

Die neue Flüchtlingsunterkunft in der Sennstraße ist ein gutes Beispiel für Architektur, die wenige Mittel braucht – dafür umso mehr Ideen, Idealismus und gemeinnütziges Engagement.

Fotos: David Schreyer (2), Thomas Schrott
I

ch wünsche mir, dass keiner zu lange hier bleibt. Sie sollen es schön haben und eine angenehme Zeit verbringen, doch hoffentlich nicht allzu lang. Am Ende ist es doch nur ein Wartehaus“, gesteht Barbara Poberschnigg von STUDIO LOIS. Gerade deshalb hat das Innsbrucker Architekturbüro sehr viel Zeit, Ideen und eine gute Portion Idealismus in dieses „Wartehaus“ investiert. Nach zwölf Monaten harter Arbeit, immerzu von finanziellen und organisatorischen Herausforderungen begleitet, entstand im Herzen von Saggen die HERberge – ein Flüchtlingsheim der etwas anderen Art.  

FÜR ALLE UND FÜR JEDEN.

Das Mädcheninternat der Barmherzigen Schwestern hatte schon einige Zeit seinen Zweck nicht mehr erfüllt. Das Gebäude stand vorwiegend leer und man suchte nach einer nutzbaren Verwendung. Im November 2014 kam schließlich der Vorschlag der Tiroler Landesregierung, es als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen. Dieser Idee stimmten die Barmherzigen Schwestern bereitwillig zu. „Wir hatten ein leeres Haus und Menschen sind in Not – da gibt es nicht viel zu überlegen“, erzählt die Provinzoberin Schwester Johanna Maria Neururer.

// 

Für die geplante Flüchtlingsunterkunft schlug STUDIO LOIS ein Konzept vor, das bei verhältnismäßig geringem Kostenaufwand mehr bot, als dies bei Flüchtlingsunterkünften normalerweise üblich ist. Dies überzeugte sowohl die Landesregierung als auch die Ordensgemeinschaft, kurz darauf saßen Barbara Poberschnigg und Elias Walch bereits an den ersten Plänen.

„Es war ein unglaublich schönes Erlebnis zu sehen, dass so viele Menschen freiwillig ihre Zeit zur Verfügung stellen.“

Elias Walch, Architekt

 

Das Kostenkorsett war eng und bildete damit die größte Herausforderung, doch die Überzeugung, dass gute Architektur nicht teuer sein muss und für jeden und alle sein soll, führte ans Ziel. „Wir sind zu richtigen Schnäppchenjägern geworden“, gibt Elias Walch schmunzelnd zu, „immer auf der Suche nach günstigen Grundmaterialien.“

MIT WENIG VIEL ERREICHEN.

Für das äußere Erscheinungsbild standen kaum gestalterische Mittel zur Verfügung. Die Architekten wollten jedoch den kasernenartigen Charakter des Hauses reduzieren, es verschönern und nach außen offener gestalten. So wurden im Rahmen der Fassadensanierung einzelne Fensteröffnungen in ihrer Größe verändert und Balkone hinzugefügt. „Wir wollten bereits von außen das Signal geben, dass es innen ein gemütliches Haus ist“, erklärt Barbara Poberschnigg.

// 

Ein Briefing im klassischen Sinne gab es bei dem Projekt nicht – und damit auch kein Raum- und Funktionskonzept. Ideen, die sowohl ästhetisch als auch funktional sind, entstanden in ausgedehnten Diskussionen der beiden Architekten. „Farbe ist ein wesentlicher Punkt gewesen“, erklärt Elias. „Bei der Ausstattung hatten wir bereits viel Weiß, da es die Standardfarbe ist und damit die günstigste Variante bei fast allen Produkten.“ Die Gefahr, dass dadurch Räume mit Krankenhaus-Charakter entstehen, war groß.

Deshalb kam sehr bald ein Farbkonzept ins Spiel, das mit großzügiger Unterstützung eines heimischen Farbenherstellers auch durchführbar war. „Wir haben alle Farben zur Verfügung gestellt bekommen und mussten nur noch die Arbeit bezahlen“, erzählt Poberschnigg. „Die würde bei weißen Wänden genauso viel kosten“, ergänzt die Architektin. Somit sind die Zimmer auf der Südseite blau gestrichen, weil sie kühlend wirken, gleichzeitig auch beruhigen und Aktivität dämpfen. Auf der Nordseite wurde Gelb verwendet – wärmend und erheiternd. Die Gemeinschaftsräume sind grün und violett.

// 

Die Herkunft der Möbel lässt sich in vier Schlagworten zusammenfassen: Sonderabverkauf, Altwarenhändler, Geschenke und Dachboden. Es wurde aufgearbeitet, repariert und neu gestrichen. Am Ende hat sich eher per Zufall, und doch sehr zeitgemäß, ein Stil der 1960er Jahre durchgesetzt.

ORTE DER BEGEGNUNG.

Den Gemeinschaftsräumen wurde besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt. Aus tiefer Überzeugung heraus, dass Menschen neben der reinen Unterkunft auch Orte der Begegnung brauchen, gibt es in der HERberge zusätzlich zu den 43 Zimmern – jeweils für drei bis vier Personen – fünf gemeinschaftliche Wohnräume, ein Kinderspielzimmer, einen Lernraum, ein kleines Fitnessstudio und ein Nähzimmer. „Leben findet miteinander statt“, betont die Architektin. „Der Umgang der Bewohner mit- und untereinander wird ein anderer sein, wenn sie Begegnungszonen haben.

„Wir hatten ein leeres Haus und Menschen sind in Not – da gibt es nicht viel zu überlegen.“

Provinzoberin Schwester Johanna Maria Neururer

 

Im Gegenzug haben die Betriebe ihre Produkte und Dienstleistungen im Preis gesenkt oder teils frei zur Verfügung gestellt.

// 

Die finale Einrichtung aller Zimmer wäre jedoch ohne die Hilfe vieler freiwilliger Helfer aus dem Freundeskreis und der Nachbarschaft nicht möglich gewesen. Mehr als 200 Menschen aller Altersklassen und körperlicher Konstitution, darunter viele Pensionisten, Tischler, Schüler, Studenten, junge Flüchtlinge und Ordensschwestern, haben am „Freiwilligen Wochenende“ Kisten und Möbel geschleppt, eingeräumt und geputzt, zusammengebaut und hergerichtet.

PLANER. Die Architekten von STUDIO LOIS.