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AUGUST 2015

Therapie-Hund

Die Traumfängerin

Man kann Hunde mögen oder nicht. Tatsache ist, dass die Tiere Erstaunliches (lernen) können. Eine Geschichte über das Assistenzhundeteam Klara und Ylvi.

Fotos: Emanuel Kaser
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ittags vor der Annasäule in der Innenstadt. Soeben ist ein heftiger Regenschauer über die Stadt niedergegangen. Am Brunnen vor dem Kaufhaus Tyrol steht Klara mit Ylvi. Die junge Frau trägt ein pinkes Top, eine weite, schwarze Sommerhose mit weißen Punkten, Ledersandalen und einen Beutel mit Trockenfutter um die Hüfte. Eine violette Brille ziert das rundliche Gesicht der 27-Jährigen. Sie hält Ylvi kurz an der Leine. Die schwarze, kniehohe Labradorhündin trägt eine rote Kenndecke mit einem weißen, selbst entworfenen Logo. Aufgeregt dreht sie sich hin und her. Menschen laufen auf der Suche nach Mittagessen an ihnen vorbei. Ylvi versucht mit ihren Augen, die Beine der Leute zu fassen. Sie weiß, dass sie im Dienst ist. Ohne Ylvi würde Klara um diese Uhrzeit nicht so entspannt hier stehen. Gedränge kann Panikattacken bei ihr auslösen, die ihren Körper lähmen und sie mit Erinnerungen an ihre Vergangenheit quälen. Durch ihre Begleiterin fühlt sich Klara aber selbst um 13 Uhr in der Maria-Theresien-Straße einigermaßen wohl. Und die Trainingsstunde mit Hundetrainerin Alexandra Schweiger kann beginnen.

Hüterin der Nacht.

Ylvi ist der erste Vierbeiner in Österreich, der zum Assistenzhund für einen Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) ausgebildet wird.

Wie Blindenführhunde unterstützen PTBS-Assistenzhunde ihren Halter bei der Bewältigung des Alltags. Der wesentliche Unterschied: Sie helfen psychisch Erkrankten. „Die Aufgaben eines PTBS-Assistenzhundes unterscheiden sich je nach Krankheitsbild des Assistenznehmers“, erklärt die zertifizierte Hundetrainerin Alexandra Schweiger, die auch diplomierte Psychologin ist. In Klaras Fall übernimmt Ylvi sowohl Service- als auch Signalaufgaben. „Morgens erinnert sie ihre Besitzerin an die Medikamente. Sie hält Fremde, die Klara zu nahe kommen, auf Distanz. Kündigen sich Panik­attacken oder Flashbacks – also das Wiederaufkommen von Erlebtem – an, holt sie Klara zurück in die Gegenwart. Etwa allein durch die Tatsache, dass sie da ist oder indem sie die Aufmerksamkeit auf sich lenkt.“ In der Betreuung ihres Frauchens verlässt sich Ylvi auf ihren feinen Geruchssinn, der noch intensiv geschult werden soll.

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Die junge Assistentin steht noch am Anfang ihrer 18-monatigen Ausbildung. Einfache Aufgaben bewältigt sie schon gut. Bald soll auch Schwierigeres möglich sein: So wird Ylvi beigebracht, Geruchsveränderungen bei Albträumen wahrzunehmen. Riecht sie, dass Klara schlecht träumt, ist es ihre Aufgabe, Licht einzuschalten und Klara durch Anstupsen zu wecken. Denn besonders nachts geistern Bilder durch Klaras Kopf, die sie in ihre Kindheit zurückversetzen: Bis zu ihrem 21. Lebensjahr wurde die Tirolerin von zwei Familienmitgliedern sexuell und emotional missbraucht.

In der Betreuung ihres Frauchens verlässt sich Ylvi auf ihren feinen Geruchssinn, der noch intensiv geschult werden soll.

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Hilfe bei Gewalt

Laut Landesverband für Psychotherapie sind mehr als ein Drittel der Frauen, die sich in Tirol in psychotherapeutische Behandlung begeben, Opfer von körperlicher, sexueller oder psychischer Gewalt geworden. 917 Frauen haben sich 2014 an das Gewaltschutzzentrum Tirol gewandt. Betroffene, die in Innsbruck Hilfe suchen, können sich an folgende Beratungsstellen richten:

Tiroler Frauenhaus
Tel.: 0512/342112 oder 0512/272303
[email protected]
www.tirolerfrauenhaus.at

Frauenhaus und Beratungszentrum der Initiative Frauen helfen Frauen Innsbruck
Tel.: 0512/580977
[email protected]
www.fhf-tirol.at

Frauen gegen Vergewaltigung
Tel.: 0512/574416
[email protected]
www.frauen-gegen-vergewaltigung.at

AEP – Arbeitskreis Emanzipation und Partnerschaft
Tel.: 0512/583698
[email protected]
www.aep.at

DOWAS für Frauen
Tel.: 0512/562477
[email protected]
www.dowas-fuer-frauen.at

Frauen im Brennpunkt
Marktgraben 16/II, 6020 Innsbruck
Tel.: 0512/587608
[email protected]
www.fib.at

Frauenhelpline gegen Gewalt
(bundesweite, kostenlose Helpline)
Tel.: 0800/222 555
www.frauenhelpline.at

Gewaltschutzzentrum Tirol
Tel.: 0512/571313
[email protected]
www.gewaltschutzzentrum-tirol.at

„Während des Zyklus sind Hündinnen unkonzentrierter als normalerweise. Sie lassen sich leicht ablenken, sind ungeduldig und, wie wir Menschen, manchmal zickig.“

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Im Kaufhaus Tyrol geht es mit dem Express-Lift in den vierten Stock in ein Elektrofachgeschäft. „In geräumigen Läden mit breiten Gängen fühle ich mich wohl“, erklärt Klara. Hier, zwischen Waschmaschinen und Kühlschränken, wird nun das Ablegen geübt: Die Schülerin muss Platz machen und warten, während sich Frauchen von ihr entfernt. Mit Körpersprache und Signale kommuniziert das Assistenzhundeteam miteinander. „Bleib“, befiehlt Klara streng und Ylvi legt ihren Körper ab. Die Hündin darf niemandem nachgehen, nicht Klara und erst recht keinem Fremden. Gut zwei Minuten bleibt Klara außer Sichtweite. Die Auszubildende blickt aufmerksam zu den Regalen, hinter der sich die Halterin versteckt, rührt sich aber nicht. Nach zwei Minuten kehrt Klara zurück. „Brav“, sagt diese und belohnt die Geduld mit einem Leckerli.

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„Labradore sind sehr menschenaffin. Daher fällt es Ylvi unglaublich schwer, Klara nicht zu folgen“, erklärt Schweiger. Ziel dieser Übung ist, die Impulskontrolle und die Selbstbeherrschung des Hundes zu trainieren.

Hunde willkommen.

Seit Jänner 2015 sind PTBS-Assistenzhunde in Österreich im Bundesbehindertengesetz verankert. Seither haben Menschen mit schweren, seelischen Leiden offiziell Anrecht auf einen Assistenzhund. Ist das Tier im Behindertenausweis des Betroffenen vermerkt, darf es öffentliche Gebäude wie Krankenhäuser, Kinos oder Theater und sogar Lebensmittelgeschäfte betreten. Den Eintrag erlangen Betroffene, wenn sie die Assistenzhundeprüfung am Messerli-Institut, einem Zentrum zur Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung in Wien, erfolgreich bestehen.

Schülerin Ilvy mit Hundetrainerin Alexandra Schweiger

 

Für die Ausbildung zum PTBS-Assistenzhund gibt es hingegen keine Standards. „Prinzipiell kann ein Besitzer seinen Hund auch selbst trainieren und im Anschluss die erforderliche Prüfung absolvieren“, weiß Schweiger. Für das Tiroler Duo hat die Hundetrainerin ein eigenes Konzept verfasst. Dieses kombiniert private Trainingsstunden mit Übungen daheim. Ob sich ein Hund als Assistenzhund eignet, ist rassenunabhängig, weiß die Expertin: „Labradore sind eine sehr beliebte Rasse, da sie gerne mit Menschen zusammenarbeiten und sehr auf sie fixiert sind. Aber entscheidend ist der Charakter. Der Hund sollte menschenfreundlich, geduldig, selbstsicher, aber nicht zu egoistisch sein. Und er braucht eine hohe Frustrationstoleranz.“