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APRIL 2020

Captain Knalltüte und der Trick, weiter zu atmen

Eigentlich wollten wir mit Dirk Stermann und Christoph Grisseman über die Lust und Last des Fernsehmachens, den Bammel vor Tour-Depressionen und abgelehnte Tanzkarten sprechen. Doch dann kam alles anders – und ein Quaran­täne-Interview zustande.

Fotos: Franz Oss, Axel Springer

Es ist Ende Februar, als wir Dirk Stermann und Christoph Grissemann in Kufstein zum Interview treffen. Die Tour für ihr Kabarett-Programm „Gags, Gags, Gags“, mit dem sie Ende April eigentlich auch im Treibhaus Station machen wollten, läuft gut – der Saal wird an diesem Abend beinahe ausverkauft sein. Zur Begrüßung werden angstfrei Hände geschüttelt und ein paar Corona-Witzeleien ausgetauscht. Social-Distance ist Zukunftsmusik, Quarantäne-Pläne gibt es keine.

 

Angesprochen auf die Erfolgsgründe ihrer Late-Night-Show „Willkommen Österreich“ meint Stermann damals: „Ich glaube, dass das etwas typisch Österreichisches ist: Die Leute mögen das, was sie kennen und was immer gleich bleibt.“

 

Mittlerweile regiert jedoch das Unbekannte. Deshalb haben wir die beiden TV-Satiriker und Kabarettisten – den Geboten der Stunde folgend – getrennt voneinander in ihren eigenen vier Wänden zur aktuellen Lage befragt. Bevor das Quarantäne-Gespräch startet, gibt es hier aber noch ein paar Auszüge aus dem ursprünglich geplanten Interview. Mit „Gags, Gags, Gags“ kommen Ster- und Grissemann nun übrigens im November ins Treibhaus.

6020:

Ohne Stermann kein Grissemann – und umgekehrt. Ist man zusammen tatsächlich weniger allein?
Dirk Stermann: Wer 30 Jahre lang stundenlang allein in kargen Räumen sitzt und auf seinen Auftritt wartet, entwickelt nun einmal Eigenartigkeiten. Das erklärt vielleicht auch, warum viele Kabarettisten so sonderbar sind. Wobei: Vor einer Tour-Depression ist man auch dann nicht gefeit, wenn man wie wir zu zweit unterwegs ist.

 

Im Bühnenprogramm „Gags, Gags, Gags“ steht ihr vor der 1165. Sendung von „Willkommen Österreich“. Im echten Leben trennen euch von dieser Zukunftsvision noch knapp 700 Ausgaben. Ist das machbar?
Christoph Grissemann: Das wären etwa 20 Jahre. Und dass wir diesen Vertrag kriegen, ist unrealistisch. Aber ich will die Sendung schon noch so lange wie möglich machen. Wobei: Mit 65 möchte ich da auch nicht mehr sitzen, weil man hat dann ja alle relevanten Prominenten schon drei Mal in der Sendung gehabt. Abgesehen davon sind unsere Gesichter irgendwann auch so verbraucht, dass wir uns selber nicht mehr im Fernsehen sehen wollen.
Stermann: Ich hab schon manchmal das Gefühl, dass ich mein ganzes Leben lang hinter dem Vorhang stehe und warte, bis „Russkaja“ zu spielen anfängt.

 

Ihr seid Late-Night-Konstanten und 2012 beim Versuch, mit der Show „Keine Chance“ den Hauptabend zu erobern, glorios gescheitert. Ist das Projekt Primetime somit abgehakt?
Grissemann: Ja. Denn was sollen wir da? Wir haben zu dieser Sendezeit nichts verloren. Wenn man so arbeitet wie wir, wird man von der Masse selbstverständlich abgelehnt. Im Hauptabend braucht man andere Leute: Damit 500.000 Leute einschalten, muss Mirjam Weichselbraun vom Bildschirm lachen.

 

Apropos: Wie oft hat man schon versucht, euch als Kandidaten für „Dancing Stars“ zu gewinnen?
Stermann: Mehrmals. Aber mittlerweile scheint man verstanden zu haben, dass das definitiv nichts wird.
Grissemann: Ich mag die Sendung ja ganz gern. Und ich würde das sogar machen, wenn ich tanzen könnte.

 

Aber genau das würde man doch in der Sendung lernen.
Grissemann: Dann sag ich‘s anders. Ich würde es machen, wenn ich Spaß am Tanzen hätte – aber dem ist nicht so.

 

„Meine Existenzangst ist seit 50 Jahren da, hat aber nie mit Geld zu tun.“

Christoph Grissemann

„Dancing Stars“ ist mittlerweile bis Herbst von der Bildfläche verschwunden. Und auch Ster- und Grissemann haben den Rückzug angetreten und standen dem 6020 nun von ihren Wohnungen aus Rede und Antwort. Die Welt scheint angesichts der Corona-Krise still zu stehen, nur die Gedanken drehen sich munter weiter. Was geht euch in dieser unwirklichen Zeit durch den Kopf?
Stermann: Verblüffend wenig, weil ich den ganzen Tag mit meinem kleinen Sohn spiele und mir ständig etwas ausdenken muss. Im Moment sind es Geschichten rund um Captain Knalltüte, einem Piraten, der zusammen mit seinen Matrosen Pups und Pupsbär sämtliche Museen des Landes leerräumt. Sie haben nämlich ein verfressenes Nilpferd, das alle Codes kennt. Für mich ist dies also vor allem eine Zeit krimineller, kindlicher Energie.
Grissemann: Groteskerweise bin ich noch nie so viel an der frischen Luft gewesen wie während der sogenannten Ausgangssperre. Gestern ging mir durch den Kopf: So ist's dann also in der Pension. Not so bad.

 

Ein Kalenderspruch besagt ja, dass in jeder Krise auch eine Chance steckt. Welche Chance könnte sich jetzt tatsächlich auftun?
Stermann: Die Wahrscheinlichkeit, dass Geld seinen Wert verliert ist groß. Wenn keiner mehr was hat, kommt man vielleicht drauf, dass es andere Werte gibt.
Grissemann: Die einzige Chance das Wort „runterfahren“ dauerhaft nicht nur aufs Skifahren zu beziehen, besteht jetzt. Duden, übernehmen Sie.

 

Die aktuelle Devise, an die sich alle halten sollten, lautet „Stay at home“: Mit welchen Strategien vermeidet ihr, dass euch die Decke auf den Kopf fällt?
Stermann: Mit Captain Knalltüte. Die Decke fällt trotzdem.
Grissemann: Die Decke des Alltags flog mir bis März auf den Kopf. Jetzt ist endlich Ruhe ohne Decke.

 

„Willkommen Österreich“ wurde zuletzt aus dem Home-Office gesendet. Kommt man sich nicht komisch vor, wenn man ohne Publikum Schmäh führt? Und habt ihr nie daran gedacht, die Sendung jetzt mal ganz ausfallen zu lassen?
Stermann: Die Wahrscheinlichkeit, dass Geld bereits jetzt seinen Wert verloren hat, ist minimal, zumindest wenn ich meinen Vermieter frage. Also bin ich froh, Geld zu verdienen und aus den geringen Möglichkeiten, die eine Late-Night-Show im Moment hat, das beste zu machen.
Grissemann: Nein. Naturkatastrophen sind kein Hindernis zu senden. Auch keine Knastpolitik. Selbst aus dem Sarg wird weiter gewitzelt.

„Wenn keiner mehr was hat, kommt man vielleicht drauf, dass es andere Werte gibt.“

Dirk Stermann

Corona-Witze überschwemmen dieser Tage alle möglichen Social-Media-Kanäle. Hoch im Kurs stehen dabei Klopapier- und Lagerkoller-Gags. Könnt ihr darüber noch lachen?
Stermann: Ich nutze keine Social-Media-Kanäle. Für Captain Knalltüte spielen Corona-Witzeleien keine Rolle. Er will Bilder klauen und wertvolle Münzen.
Grissemann: Ja sicher. Es gibt gute Corona Witze. Unter Corona war nicht alles schlecht.

 

Das Kulturleben liegt brach: Und das wird wohl auch noch eine Zeit so bleiben. Kochen da auch bei euch Existenzängste hoch?
Stermann: Nein, jede Krise ist auch eine Krise. Das war schon immer so und es gibt uns alle und alle Kleinkunstbühnen noch immer. Wenn alles pleite ist, werden neue kommen.
Grissemann: Meine Existenzangst ist seit 50 Jahren da, hat aber nie mit Geld zu tun.

 

Wie beurteilt ihr, als Bürger und als Kulturschaffende, das bisherige Krisenmanagement der Bundesregierung?
Stermann: Ich würde die Museen besser bewachen. Das Nilpferd, sie verstehen ...
Grissemann: Ganz gut. Hätte ich aber auch geschafft.

 

Was fehlt dir an Grissemann gerade am meisten?
Stermann: Das Timing. Es ist via Skype mit der leichten Zeitverschiebung schwierig, schnell zu reagieren.

 

Was fehlt dir an Stermann gerade am meisten?
Grissemann: Ihn beim Essen zu beobachten.

 

Wie lange wird es noch dauern, bis die Stermann'sche Frisur die Fasson verliert?
Stermann: Wie bei jedem Naturgott liegt alles in meiner Hand.

 

Wird im Hause Grissemann ausschließlich im rosa Bademäntel durch die Gänge flaniert?
Grissemann: Natürlich nicht. Den Bademantel trage ich bis 11 Uhr. Dann eine Art Militäruniform, eine selbstgenähte.

 

Worauf freut ihr euch am meisten, wenn sich die Welt wieder einigermaßen normal dreht?
Stermann: Auf Restaurants.
Grissemann: Auf Sonja.

 

Welche Songs gehören unbedingt auf eine Quarantäne-Hitliste?
Stermann: „1–10“ von den Aeronauten. Der Refrain geht so: „1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 – Wenn ich will, kann ich gehen“. Das ist tröstlich.
Grissemann:  „Stille“ von John  Cage, „Atemlos durch die Nacht“ von Helene Fischer und „The trick is to keep breathing“ von Garbage.

 


Vielen Dank für das Gespräch.