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APRIL 2018

Willkommen in der Kommakrise

Der Teufel liegt bekanntlich im Detail. Was aber, wenn dieses Detail den meisten Menschen herzlich egal ist? Das ist die Geschichte des Beistrichs in der deutschen Sprache. 6020 kümmert sich um einen Vernachlässigten.

Fotos: Privat, Archiv
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as Komma hält in der deutschen Rechtschreibung die bemitleidenswerte Stellung des Korianders unter den Satzzeichen. Für manche ist der kleine Strich nur lästiges, schwer verdauliches Unkraut, das da zwischen Haupt-, Nebensätzen und Infinitivgruppen herumwuchert, andere sind regelrecht besessen von dem kleinen Zeichen, das dem Text nicht nur seine Würze, sondern auch einen Sinn geben kann.

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Verfechter des Kommas, das – zur Verwirrung des gesamten deutschen Sprachraums außerhalb Österreichs – hierzulande Beistrich genannt wird, betonen bei Gelegenheit gerne, dass Beistriche Leben retten können. Doch man muss Arbeitskollegen nicht zwangsläufig mit halbwitzigen Grußkarten am Kühlschrank, die da sagen „Komm, wir essen, Opa. Komm, wir essen Opa“, auf die Nerven gehen. Enttäuschte Liebhaber sparen vor ihren Kumpels im Satz „Er will sie nicht“ ganz einfach den Beistrich aus und zeigen damit, dass ein einziges Zeichen (ähnlich wie der Koriander) das ganze Erlebnis versauen kann.

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Ganz ernsthaft: Es sind die kleinen Dinge, die uns oft die größten Probleme bereiten. Müll trennen, wählen gehen oder eben die Zeichensetzung können uns an die Grenzen unserer Geisteskraft führen. Selbst in der allmächtigen Redaktion des „New Yorker“ zerbrach man sich darüber den Kopf, wie denn nun die richtige „punctuation of Donald Trump, Jr.,’s name“ laute. 

Stiefkind der Rechtschreibung? 

In Österreich gibt es hingegen (was für eine Überraschung) eine fatale Relativierung des Problems – von ganz oben. Als Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einem Interview vor seiner Wahl verlautbarte, dass er anderen Menschen am ehesten Beistrichfehler verzeihe, blieben Proteste wütender Germanisten-Mobs aus. Tatsache ist aber, dass eine schlechte Rechtschreibung eine gesellschaftlich stigmatisierende Wirkung haben kann. Ist die Missachtung des Kommas nun ein grammatisches Kavaliersdelikt oder nicht?

 

Bernadette Rieder

„Kaum jemand setzt bei WhatsApp überhaupt Satz­zeichen.“

Bernadette Rieder

 

„Mängel in der Kommasetzung aufzuweisen heißt nicht, dass die Sprachbeherrschung schlecht ist“, weiß Bernadette Rieder, Senior Lecturer und Expertin für wissenschaftliches Schreiben an der Universität Innsbruck. Der Beistrich gliedert jedoch grammatische Einheiten innerhalb eines Satzes und ist deshalb in komplexen Sätzen und Fließtexten unabdinglich. Trotzdem hat sich die schriftliche Verständigung durch neue Kommunikationsmittel auch im Hinblick auf das Komma grundlegend verändert. „SMS- und WhatsApp-Nachrichten eliminieren den Beistrich weitgehend, weil dort andere Gliederungsmöglichkeiten gegeben sind. Kaum jemand setzt bei WhatsApp überhaupt Satzzeichen“, erklärt Rieder. In Chats werden hauptsächlich bedeutungstragende Satzzeichen wie Ruf- und Fragezeichen verwendet. Beistriche und Punkte werden einfach ausgespart. Ist ein Satz zu Ende, beginnt man einfach eine neue Nachricht.

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Wird der Beistrich bei den Jungen also am Ende gar durch ein Emoticon ersetzt? Christoph Klien, Deutschlehrer an der Neuen Mittelschule Wilten, gibt Entwarnung. Seine Schüler beherrschen „im besten Fall beides“.

Die Beistrichregeln werden auf das Wesentliche reduziert. Im Schulalltag spielt der Beistrich im Vergleich zu anderen Kompetenzen wie der Beherrschung der Sprache in Wort und Schrift oder dem Umgang mit Textsorten eine untergeordnete Rolle. 

Die Problemzonen. 

„Vereinfacht werden Beistriche in drei Positionen gesetzt: 1.) bei Aufzählungen, 2.) zwischen Hauptsätzen, 3.) zwischen Haupt- und Nebensätzen“, lautet die goldene Maxime in einem der Schulhefte der Zöglinge von Christoph Klien. Dies klingt einleuchtend, doch auch basale Kommaregeln können, so Bernadette Rieder, durch eine neue Schreibherausforderung, wie beispielsweise die erste Proseminar- oder Bachelorarbeit, kurzzeitig vergessen werden. Bei einigen Beistrichfehlern stolpern allerdings auch die in diesem Moment die Nase rümpfenden Experten regelmäßig (siehe Box).

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Der Einsatz von Beistrichen ist, wie die gesamte deutsche Rechtschreibung, amtlich geregelt. Jeder Schreiber und vor allem öffentliche Ämter und Schulen müssen sich an die paragraphierten Empfehlungen des Rechtschreibrates (rechtschreibrat.com) halten, sonst kann es, zumindest bei vehementen Komma-Verweigerern im Schuldienst, sogar zu ernsten Konsequenzen kommen. Deutschlehrer Christoph Klien sieht die Genauigkeit bei den Kommas eher pragmatisch:

Christoph Klien

„Es gibt sicher Berufe, in denen ich sie überhaupt nicht brauchen werde.“

Christoph Klien

Drei teuflische (Nicht-) Beistrichsetzungen 

 

„Ich denke, er hat den Koriander weggelassen, und hoffe, dass er dafür wenigstens Basilikum verwendet hat.“ 

Der schließende Beistrich nach einer eingeschobenen Gruppe oder einem Nebensatz, wenn der darauffolgende Satz mit einem „und“ fortsetzt. 

Diese Regel klingt nicht nur wie eine Germanisten-Persiflage des 100-Jährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand, sondern ist ein häufiger Kommafehler. 

 

„Wir haben ganz darauf vergessen, Koriander zu kaufen.“ 

Der Beistrich vor erweiterten Infinitivgruppen, die von einem Hinweiswort abhängig sind. 

Normalerweise setzt man laut Rechtschreibrat nicht nur bei Infinitivgruppen mit um, ohne, anstatt, außer oder als einen Beistrich, sondern auch, wenn die Gruppe von einem Substantiv abhängig ist oder im obigen Fall.  

 

„Mit freundlichen Grüßen

Karl Koriander“ 

Der Beistrich beim Gruß am Ende einer E-Mail (den es NICHT mehr gibt). 

Viele Schreiber sitzen diesem Irrtum auf; der Beistrich wird hier nicht gesetzt, weil die neue Zeile schon ein Signal für die Gliederung ist.