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APRIL 2018

Drei Köpfe, ein Fünfkampf und zwölf Listen

Österreichs letzte größere Abstimmungen dieses Jahres sind zeitgleich
in Salzburg und Innsbruck. Doch die Wahl des Landtags bei den Nachbarn wirkt wesentlich leichter berechenbar als jene von Gemeinderat und Bürgermeister im demokratiepolitischen Kommunallabor zwischen Kar und Kofel.

A

m späten Nachmittag des 22. April blickt ganz Österreich nach Salzburg. Obwohl: So spannend wie zuvor in Niederösterreich, Tirol und Kärnten ist diese Landtagswahl nicht. Die unwissenschaftliche Prognose, quasi aus dem Bauch heraus, sieht die ÖVP klar voran. Sie wird stärker werden, aber keine absolute Mehrheit bekommen. Die Neos müssten den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde problemlos bewältigen. Die Grünen dürften ihr Rekordergebnis keinesfalls halten, aber klar zweistellig bleiben. Blau sollte zulegen, aber wie schon in St. Pölten, Innsbruck und Klagenfurt viel weniger als noch vor wenigen Monaten erwartet. Rot könnte unterdessen stagnieren oder gar ein wenig dazugewinnen. Es wird nahezu sicher ein Fünf-Parteien-Landtag. Zu den wenigen wirklichen Rätseln zählt, ob Schwarz-Grün sich dort rechnerisch noch einmal ausgeht, ob die SPÖ oder die FPÖ auf Platz 2 kommt und ob die Freiheitlichen nach Tirol und Kärnten auch in Salzburg nicht in die Regierung einziehen.

Seit 16 Jahren eine Frau an der Spitze.

Deutlich prickelnder wird es am gleichen Abend in Innsbruck. Nach Anzahl der Stimmberechtigten steht die hiesige Neubestimmung von Gemeinderat und Bürgermeister zwar nur an 15. Stelle der Volkswahlen in Österreich (nach EU, Nationalrat, Landtagen sowie Graz, Linz und Salzburg), doch Tirols Regiopole hat politischen Laborcharakter. Sie ist die einzige Landeshauptstadt Österreichs, in der bisher nur bürgerliche Gemeindeoberhäupter regierten. Das ist in der Zweiten Republik sonst bloß in Eisenstadt der Fall, doch dort war schon in der Zwischenkriegszeit ein Sozialist am Ruder. Die burgenländische Gemeinde stellte nach Innsbrucks Hilde Zach mit Andrea Fraunschiel dann auch die zweite Frau an der Spitze einer Landeshauptstadt. Zach-Nachfolgerin Christine Oppitz-Plörer ist die dritte. Klagenfurts Maria-Luise Mathiaschitz ist seit 2015 die erste Sozialdemokratin in solch einem Job.

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Abgesehen von dieser Vorreiterinnenrolle hatten auch Innsbrucks Regierung und Kommunalparlament bahnbrechende Quoten: In der Ära Zach war die Mehrheit des Stadtsenats weiblich und diente ein Frauenanteil von bis zu 42,5 Prozent im Gemeinderat österreichweit als Vorzeigemodell. Ob dieses Trendsetting nach 16 Jahren durch eine weitere Amtsperiode für die Chefin von Für Innsbruck fortgesetzt wird, entscheidet sich aber kaum bereits am 22. April. Die Variante Georg Willi kontra Rudi Federspiel gilt als die unwahrscheinlichste von nur drei realistisch wirkenden Möglichkeiten. Eher wird entweder der grüne oder der blaue Spitzenkandidat in der Bürgermeister-Stichwahl gegen die Titelverteidigerin vermutet. Und dann heißt die Favoritin jeweils Christine Oppitz-Plörer. Käme es aber wider Erwarten zum Duell Willi vs. Federspiel am 6. Mai, dürfen die Grünen auf eine Wiederholung des Van-der-Bellen-Effekts – alle gegen die FPÖ – hoffen. Es wäre aktuell der erste Bürgermeister für sie – in Österreichs 2.100 Gemeinden.

Die Direktwahl der Bürgermeister wirkt nirgends so tückisch wie in Innsbruck.

Die Möglichkeit konträrer Mehrheiten.

So oder so hat er oder sie dann ein Mehrheitsproblem. Denn anders als die Spitzenkandidaten von ÖVP und SPÖ – Franz Gruber und Irene Heisz – sind die drei Favoriten für Innsbrucks Top-Position jeweils populärer als ihre Parteien. Neben dem Dreikampf um den Bürgermeistersessel gibt es aber auch ein Kopf-an-Kopf von fünf Listen um die relative Mehrheit im Gemeinderat. Paul Aigner, der einstige Sprecher von Landeshauptmannstellvertreterin Ingrid Felipe, hat via Twitter auf den Punkt gebracht, was das im Extremfall bedeuten kann: „Wenn es ganz heiß her geht, haben drei Listen mit je 17 % die Mehrheit im Gemeinderat mit 51 % der Stimmen und zwei andere Listen mit je 18 % also insgesamt 36 % die Mehrheit in der Regierung“ – weil sie als stärkste Parteien je zwei der sieben Stadtsenatssitze bekämen. Die Direktwahl der Bürgermeister birgt zwar überall, wo sie zur Anwendung kommt, die Gefahr eines Gemeindechefs ohne Mehrheit im Gemeinderat, doch nirgends sonst wirkt sie so tückisch wie in Innsbruck.

Denn hier ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die stärkste Liste weniger als 20 Prozent erhält. Angesichts der jüngsten Wahlbeteiligungen könnte diese Nummer-eins-Position schon durch weniger als ein Zehntel der Stimmberechtigten erreicht werden.

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Nach 1994 ist hier die Wahlbeteiligung für städtische Einrichtungen nie mehr über 60 Prozent hinaus  gekommen. Bei der Kür der Bürgermeisterin 2012 betrug sie gar nur 44,5 Prozent. Die Ursachen für diese negative Vorreiterrolle sind vollkommen unklar. Dass es die extrem hohe Zufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen ist, wirkt angesichts von zuletzt neun und diesmal zwölf antretenden Listen unwahrscheinlich. Wenn gleich fünfen davon Rang eins zuzutrauen ist, liegt das vor allem an zwei Besonderheiten: Hier spalten sich seit Anfang der 1970er Jahre immer wieder liberale Bürgerliche von der konservativen ÖVP ab. Was Wilhelm Steidl mit dem TAB (Tiroler Arbeitsbund) und Hermann Weiskopf mit dem IMS (Innsbrucker Mittelstand) im Kleinen vorexerziert hatten, vollendete Herwig van Staa mit FI (Für Innsbruck) im großen Stil. 1994 wurde zwar erstmals die SPÖ zur stärksten Partei, doch der spätere Landeshauptmann und ÖVP-Rückkehrer zum Bürgermeister.