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indobona locuta, causa finita. Das Latein mag geschwollen sein, doch es trifft den Kern der Sache: Wien hat gesprochen, der Fall ist beendet. So wie sich der Grand Prix Eurovision de la Chanson über den Eurovision Song Contest bis zum ESC verkürzt hat, was für Computer-Benutzer aber eher Flucht per Knopfdruck bedeutet. Es gibt wahrlich Wichtigeres für Stadt und Land, als weiterhin ihre Vorzüge im Vergleich zur Metropole zu betonen. Nichts Schlimmeres möge Innsbruck und Tirol widerfahren, als bei einer unberechenbaren Großinvestition den Kürzeren gegen Wien zu ziehen. Die Umstände jedoch, unter denen solch ein Beschluss in und für Österreich entsteht, bleiben fragwürdig.
//Dabei geht es weniger um die erwartbaren internen Abwehrreaktionen der üblichen Verdächtigen. Dass die nicht als hoch deklarierte, aber dennoch elitäre Kulturszene jeden Cent für den Song Contest mit ungeflossenen Subventionen an sich abgleicht, ist ein üblicher Reflex, der sonst die Konkurrenz von Sportevents bis zum Landestheater trifft. Dieser Chor würde auch dann nicht verstummen, wenn seine Sänger mehr öffentliches Geld bekämen. Bei allen Alternativen gehört Jammern zum Geschäft.
DIE REALPOLITIK EINER FORMALFÖDERATION.
Auch das unwägbare Preis-Leistungs-Verhältnis für den Song-Contest-Ausrichter ist business as usual für ESC-Kandidaten quer durch Europa. Begründen lässt sich die Veranstaltung des Spektakels nur mit touristischer Folgewirkung – z. B. damit, dass Innsbruck und Tirol neben Sportprägung weitere Imagekomponenten benötigen. Ob die Beherbergung des populären Liedersingens mit knapp 200 Millionen Fern-Sehern die Ausgabe von wenigstens zehn Millionen Euro rechtfertigt, ist zumindest ebenso strittig wie die Frage, welche Kultur dann gepflegt werde. Doch die Aufrechnung gegen öffentliche Kostenbeiträge zu diversen Ski-Veranstaltungen hätte wohl den Versuch gerechtfertigt.
Zu den hierzulande beklagbaren Rahmenbedingungen zählt auch nicht, was Aalborg seine ESC-Kandidatur für 2014 zugunsten von Kopenhagen zurücknehmen ließ: Innsbrucks dänische Partnerkommune bekundete zu wenig Hotelbetten für das Ereignis. Tirol und seine Landeshauptstadt scheitern trotz kurzfristiger Unterstützung des heimischen Weltkonzerns Swarovski an der Realpolitik einer Formalföderation, deren Bruchstellen durch den regional
stark unterschiedlichen Niedergang der einstigen Volksparteien immer deutlicher geraten. Im Zweifelsfalle Ostösterreich: Die ungeschriebene Machtverteilung zugunsten dieses demographisch immer noch mehr bevorzugten Raumes rüttelt auf lange Sicht an der Republik und fördert kurzfristig das Europa der Regionen.
AUF DER HUT VOR WIEN- UND ORF-WAHL.
Im speziellen Fall handelt es sich aber nicht um den kategorischen, sondern bloß einen hypothetischen Imperativ pro Vienna, der Innsbrucks finanziell besseres Angebot in Nachrang bringt: Wenn Alexander Wrabetz ORF-Generaldirektor bleiben will, schlägt er Wiens Bürgermeister Michael Häupl besser keinen zweiten Wunsch ab. Dieser kaut schon genügend daran, dass der öffentlich-rechtliche Riese seine Zentrale am Küniglberg ausbaut, statt – wie vom roten Häuptling gewollt – in das massiv propagierte Medienquartier St. Marx umzuziehen. Nun strebt aber Wrabetz schon seine dritte Amtszeit an, während Häupl auf seine bereits sechste Legislaturperiode als Stadtchef zusteuert. Der Wiener Gemeinderat wird allerdings schon 2015 neu bestimmt, der ORF-General erst
Nichts Schlimmeres möge Innsbruck und Tirol widerfahren, als bei einer unberechenbaren Großinvestition den Kürzeren gegen Wien zu ziehen.
2016 das nächste Mal gekürt. Spätestens dann braucht Wrabetz Häupl (oder dessen Nachfolger).
Also überstimmt der rote Alleingeschäftsführer jetzt lieber seinen schwarzen Finanzdirektor, der den Song Contest eher an Innsbruck vergeben hätte. Wobei der hausinterne Widerstand jenes Richard Grasl überschaubar bleibt, der als ein Nachfolgekandidat für Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll gilt. Diesem wiederum werden seit dem Tod von Barbara Prammer mehr denn je Avancen auf die Bundespräsidentschaft nachgesagt, die – der Zufall ist ein Luder – ebenfalls 2016 ansteht.
OST-SCHWERPUNKT VOR WEST-ACHSE.
Nun sind in der österreichischen Wirklichkeit schon die Landeshauptleute im Allgemeinen mächtiger als die Bundesregierung. Im Besonderen ist es aber die Achse Wien–St. Pölten,
namentlich die Verbindung Häupl-Pröll, die nicht erst seit Werner Faymann und Michael Spindelegger rote wie schwarze Kanzler wie Vizes locker in Schach hält. Wenn ausgerechnet in einer solchen Gemengelage die wackeren Tiroler ihr föderalistisches Fähnchen hissen wollen, wirkt der Rückzug auf Halbmast schon vorprogrammiert. Das kleine Zeitfenster der Unentschiedenheit, die vermeintliche Chance für Graz und Innsbruck, ist nicht einer offenen Ausschreibung des ORF zu verdanken, sondern dem langen Zögern von Michael Häupl geschuldet: Denn auch dem Bürgermeister fällt die
Abwägung schwer, ob der Song Contest ihm vor der Gemeinderatswahl mehr nutzen oder schaden kann.
//Angesichts des erwarteten Sturms ums rote Wien erscheint sogar der plötzliche Schulterschluss im schwarzen Tirol höchstens wie ein zartes Föhnlüfterl. Er ist vor allem für die Sozialdemokratie kaum spürbar, deren wahre Interessenlagen Richtung Westen mittlerweile am Mondsee enden: Salzburg – eine Episode, Tirol und Vorarlberg – zwei Desaster. Auch die Volkspartei, die bei der jüngsten Europa-Wahl allein in Niederösterreich um 50 Prozent mehr Stimmen holt als durch die gesamte Westachse, legt ihren Schwerpunkt immer mehr auf die beiden Donau-Flächenbundesländer. Hierzulande mag es durchaus überraschen, dass Landeshauptmann Günther Platter und Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer nach jahrelanger Entfremdung ausgerechnet für den Song Contest wieder an einem Strang ziehen. In Wien ist das den Herren vom Küniglberg wie im Rathaus schlicht Wurst.
Hierzulande mag es durchaus überraschen, dass Platter und Oppitz-Plörer ausgerechnet für den Song Contest wieder an einem Strang ziehen.